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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Bernsteinkette, und sie machte große Augen.
    »Meine Oma hatte auch eine mit solchen olivenförmigen Perlen, aber die hat sich natürlich meine Schwester gekrallt. Ist das nicht wie ein Fingerzeig des Schicksals?«
    Ich verstand nicht ganz.
    »Vielleicht kriege ich mit der Zeit auch noch alles, was meine Schwester besitzt. Außerdem wird eine Kette am Hals getragen. Wenn der Wohltäter es so will, kann ich ihm ja mit der Kette –«
    »Spinnst du? Die Kette würde doch sofort reißen! Wolfram hat mir eine kleine Stabbrosche geschenkt, nach deiner Logik müsste ich ihm die Nadel wohl ins Herz bohren?«
    Judith grinste. Ich verstände keinen Spaß, sagte sie, und würde immer alles wörtlich nehmen. Sie ließ sich die Kette umlegen und einen Handspiegel reichen und betrachtete sich.
    »Hatte Bernadette auch richtig teure Schmuckstücke? Echte Perlen, Edelsteine, Diamanten?«, fragte sie.
    »Weiß ich nicht genau; die Klunker, die ich gesehen habe, wirkten nicht sehr überzeugend. Wenn du Wolfram zu Willen bist, wird er dich sicher wie einen Christbaum behängen.«
    »Wenn wir Universalerbinnen werden, brauche ich mich im Vorfeld doch nicht anzustrengen…«
    »Vorläufig bin nur ich die Erbin. Aber wenn du dafür sorgst, dass wir das Haus bekommen, werde ich natürlich halbe-halbe machen.«
    Judith gähnte. »Ja, ja doch. Übrigens bin ich dauernd müde vom ewigen Nichtstun. Man kommt auf dumme Gedanken, wenn man den ganzen Tag nur herumgammelt. So habe ich hin und her überlegt, und ich bin schließlich auf Narkosetropfen gekommen. Ich könnte an welche herankommen.«
    »Ich hoffe, du hast Cord nichts von unseren Plänen verraten«, sagte ich. Mir schwante nichts Gutes. »Was hast du für eine Begründung angegeben, dass wir einem kranken Mann die Möbel schleppen?«
    »Er hat gar nicht gefragt«, behauptete Judith, aber ich glaubte ihr kein Wort.
    »Was ist das überhaupt für ein seltsamer Vorname?«, fragte ich. »Ist Cord eine Abkürzung von Konrad?«
    »Eigentlich heißt er Torsten, aber ich habe ihn Cord getauft, weil er immer Cordhosen trägt. Du magst ihn nicht, das habe ich sofort gemerkt. Bist du etwa eifersüchtig?«
    Ich und eifersüchtig? Ich war doch nicht lesbisch!
    Wolfram hatte Wort gehalten. Am nächsten Tag lag das Testament Nr.   2 fix und fertig bereit, die Nr.   3 war bereits handschriftlich abgeschrieben, aber bisher noch nicht unterzeichnet. Was noch ausstand, war der bewusste Abschiedsbrief. Bevor ich diskret darauf hinweisen konnte, fragte er nach Judith, ob sie sich über die Kette gefreut habe und ob sie ihn bald wieder besuchen komme. Ich ertappte mich dabei, dass ich fast so etwas wie einen Nadelstich verspürte, weil ihm Judiths Wohlergehen so sehr am Herzen lag. Wir saßen wie ein altes Ehepaar nebeneinander auf dem Sofa, es fehlte nur noch, dass wir Händchen hielten.
    So weit durfte es niemals kommen. Ruckartig stand ich auf und machte mich nützlich: lüften, aufräumen, Wäsche einsammeln, Staub wischen. Die vertrockneten Topfpflanzen warf ich allesamt in die Mülltonne. Sie war mehrmals nicht geleert worden, morgen war zum Glück der nächste Termin.
    Ich rollte die Mülltonne an den Straßenrand. Wochenlang war es für die Jahreszeit zu kalt gewesen, jetzt setzte der Frühling plötzlich und mit aller Kraft ein. Die Autos, die auf der Straße parkten, waren von gelbem Blütenstaub überzogen. Im Nachbargarten hatte ein Magnolienbaum bereits dicke Knospen angesetzt, noch ein paar sonnige Tage, und sie würden aufgehen. Von außen fiel mir wieder auf, wie schmutzig die Fenster von Nr.   19 waren – wenn es sonst keiner tat, musste ich sie wohl oder übel endlich putzen.
    Die meisten Häuser in der Biberstraße waren von einem Garten umgeben, wir befanden uns schließlich in einem großbürgerlichen Villenviertel der Jahrhundertwende. Nachbarn hatte ich bisher noch keine gesichtet, doch jetzt trat eine Frau meines Alters auf den Bürgersteig, die genau wie ich eine Mülltonne schob.
    Sie nickte mir mit unverhohlener Neugier zu, trat näher heran und fragte, ob Maria, die Haushaltshilfe von Herrn Kempner, gekündigt habe.
    Wahrscheinlich hielt sie mich für die neue.
    »Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen«, sagte sie. »Seit dem Tod seiner Frau lebt er völlig zurückgezogen. Mit ihr konnte man ja mal ein Wörtchen reden, aber er war schon immer sehr zurückhaltend. Wie geht’s ihm denn, ich habe gehört, er sei sehr krank?«
    Das konnte vielleicht eine wichtige Zeugin

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