Hab und Gier (German Edition)
Lianen blühn?
Und himmelhoch sich rankt des Urwalds Grün?
Wo Niagara aus den Felsen bricht,
Und Sonnenglut den freien Scheitel sticht?
Verdammt noch mal, fuhr es mir plötzlich durch den Kopf, wollte ich ihm am Ende imponieren oder gar gefallen? Heftig klappte ich das Buch wieder zu. Er sollte sich auf keinen Fall einbilden, ich fände ihn selbst und nicht bloß die Erbschaft interessant.
Die ganze Sache war ein gutes Geschäft, nur deswegen würde ich schon wieder hinfahren. Und genau deswegen könnte ich heute etwas Besseres auf den Tisch bringen als die vorgesehene pampige Pasta mit Analogkäse. Ich hatte zu Hause noch Paprika und Salat im Gemüsefach, ich würde Hackfleisch auftauen und ein gutbürgerliches Sonntagsessen für uns beide zubereiten. Was aber, wenn es eine Henkersmahlzeit wurde, wenn Wolfram schon heute starb, ohne auch nur eines der drei Testamente zu hinterlassen? Ich musste ihn dringend dazu anhalten, wenigstens Nr. 2 abzuschreiben und zu unterzeichnen.
Gesagt, getan. An jenem Tag servierte ich gefüllte Paprikaschoten mit Reis, von denen er immerhin eine halbe aß und mich sehr lobte – nicht nur für das Essen, sondern auch für das frischbezogene Bett, in dem er wie ein junger Gott geschlafen habe. Als er mit seiner Hymne fertig war, brachte ich ihm die Testamentsentwürfe samt einigen Bogen Papier.
Wolfram sah mich nachdenklich an. »Du hast recht«, sagte er. »Man sollte endlich Nägel mit Köpfen machen. Meinst du, man könnte Judith für meinen finalen Wunsch gewinnen, und sollte ich sie in diesem Fall nicht ebenso begünstigen wie dich?«
»Wir sprechen im Augenblick nur von Testament Nummer zwei«, sagte ich. »Begreiflicherweise kann sich auch Judith nicht für die Würgerei begeistern. Was aber mich angeht, so will ich nicht Tag für Tag bei dir antanzen, wenn am Ende gar nichts Schriftliches vorliegt und die gesamte Erbschaft dem Staat zufällt. Oder hast du gar entfernte Verwandte?«
»Die hat doch jeder«, sagte Wolfram. »Aber ich gönne der Sabrina keinen Cent. Ich werde noch heute alles erledigen.«
Zwar hätte ich es lieber gesehen, wenn er in meiner Gegenwart zur Tat geschritten wäre, aber ich wollte nicht zu habgierig wirken.
Wolfram druckste herum, als ich gehen wollte. »Wirst du Judith einen Krankenbesuch abstatten? Ich wäre dir dankbar, wenn du ihr eine kleine Aufmerksamkeit mitbringst. Es tut mir so leid, dass sie meinetwegen Schmerzen hat!«
Ich nickte erwartungsvoll.
Wolfram schloss die oberste Schreibtischschublade auf, in der er seine Brieftasche und das von mir besorgte Bargeld aufbewahrte, und nahm eine prunkvolle Kassette heraus.
»Bernadettes Preziosen«, sagte er. »Würde deiner Freundin vielleicht diese Kette gefallen?«
Ich nickte; persönlich mag ich zwar keinen Bernstein, aber Judith und ich haben einen sehr unterschiedlichen Geschmack. Zu ihrem blonden Haar mochte der honigfarbene Schmuck durchaus passen.
»Darf ich auch die anderen Sachen mal anschauen?«, fragte ich.
»Warum nicht? Wenn du magst, kannst du dir auch etwas aussuchen«, sagte Wolfram. »Nur nicht die Ringe, die möchte ich vorläufig behalten.«
Das meiste Glitzerzeug – und ganz besonders die Ringe – war für meine Begriffe zu klobig. Ich nahm eine kleine goldene Anstecknadel heraus, die Bernadette wahrscheinlich selbst vererbt worden war, weil sie zu dem protzigen Schmuck so gar nicht passte, und hielt sie probeweise an das Revers meiner grauen Flanelljacke.
Wolfram nickte beifällig. »Bernadette mochte nichts Altmodisches, deswegen hat sie diese Brosche nie getragen; aber dir steht sie gut. Ein Dankeschön für das heutige Essen!«
Immerhin: Ein Auto und ein schlichtes, edles Schmuckstück hatte ich schon eingeheimst. Wolfram hatte sich bisher als durchaus spendabel erwiesen.
Natürlich war ich gespannt, was Judith zu Wolframs Geschenk sagen würde. Seit der Wende hatte ich schon mehrfach Frauen mit ähnlichen Ketten gesehen, denn an der Ostsee wurde Schmuck aus fossilem Harz massenhaft und in mehr oder weniger guter Qualität angeboten. Viele Touristen brachten aus Danzig, Königsberg oder Riga solch ein Andenken mit.
Judith öffnete mir selbst die Tür, Cord war offenbar nicht mehr bei ihr. Die Schmerzen im Lendenbereich träten hauptsächlich beim Aufrichten aus gebeugter Haltung auf, aber sie sei bestimmt bald wieder fit. Schmerzmittel, ein warmes Bad, ein Krimi im Bett oder eine Wärmflasche im Rücken könnten Wunder wirken.
Ich übergab ihr die
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