Habe ich dich schon mal geküsst?
Grundbedürfnis. Touristen irgendwelche Souvenirs zu verkaufen, ist aber kein Grundbedürfnis. Und sie mit Unterhaltung zu versorgen auch nicht. Wir haben hier ein angenehmes Leben. Einige von uns haben nicht viel, aber wir kommen zurecht und sind glücklich.“
„Die Insel ist wirklich ein wenig merkwürdig“, meinte Rafael leicht amüsiert. „Es ist, als würde man in eine andere Welt eintauchen. Es erstaunt mich, dass ihr Internetzugang, Kabelfernsehen und Handyempfang habt.“
„Auf dem Laufenden bleiben wir schon“, erwiderte sie. „Wir sind nur keine Vorreiter. Hier auf der Insel geht es ziemlich gelassen zu, man kann das gar nicht richtig erklären, das muss man erleben. So wie du in den Wochen, als du hier warst.“
„Und trotzdem warst du bereit, all das zu verlassen, um mit mir zusammen zu sein.“
„Ja. Mir war einfach klar, dass ich etwas würde verändern müssen. Du bist Geschäftsmann und hast dein Zuhause in New York. Ich konnte ja wohl kaum von dir erwarten, dass du das alles aufgibst und hierher ziehst. Ich war willens, mich anzupassen, weil ich gedacht habe, dass du es wert bist.“
„In Anbetracht deiner Leidenschaft für diese Insel und die Menschen hier, bin ich schwer beeindruckt, dass du geglaubt hast, ich wäre dieses Opfer wert.“
„Mach dich nicht kleiner, als du bist, Rafael. Meinst du nicht, dass du es wert bist? Dass jemand dich genügend lieben kann, um etwas Wichtiges aufzugeben, um mit dir zusammen sein zu können?“
Er wandte den Blick ab und starrte hinaus aufs Wasser, so als hätte er darauf keine Antwort. Seine Körperhaltung verriet, dass er unter großer Anspannung stand.
„Vielleicht habe ich noch nie jemanden getroffen, der so viel von mir gehalten hat“, meinte er schließlich.
„Wie ich schon sagte, ich glaube, du umgibst dich mit den falschen Leuten, und ganz definitiv gehst du mit den falschen Frauen aus.“
Ihr neckender Tonfall entlockte ihm ein Lächeln.
„Warum bekomme ich nur gerade das Gefühl, dass ich vermutlich alles versucht habe, um dich auf Abstand zu halten, während du dich davon überhaupt nicht hast beeindrucken lassen?“
„Nein, gar nicht“, meinte sie erstaunt. „Du warst durchaus offen gegenüber dem, was zwischen uns passierte. Auf jeden Fall warst du in der Hinsicht auch nicht gerade untätig.“
Er schüttelte den Kopf. „So langsam glaube ich, hier läuft ein Double von mir herum. Ich weiß, ich habe das schon häufiger gesagt, aber der Mann, den du beschreibst, ist so anders, dass ich das Gefühl habe, es mit einem völlig Fremden zu tun zu haben. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich vermuten, dass ich mir diese Kopfverletzung zugezogen habe, bevor ich hier angekommen bin. Nicht danach.“
„Ist dir die Vorstellung so zuwider?“
„Nein, das ist es nicht, was ich sagen will. Ich bin weder beschämt noch wütend. Es ist schwer zu erklären. Stell dir doch mal all die Dinge vor, die du nie tun würdest. Stell dir etwas vor, was überhaupt nicht zu deiner Persönlichkeit passt. Dann stell dir vor, dass jemand dir erzählt, du hättest all das getan, ohne dass du dich daran erinnern kannst. Du würdest doch denken, dass die Leute den Verstand verloren hätten, nicht du.“
„Okay, das kann ich nachvollziehen. Es ist also nicht so, dass du den Mann, der du warst, nicht akzeptieren kannst.“
„Ich verstehe ihn einfach nicht“, überlegte Rafael. „Oder seine Gründe.“
„Vielleicht hast du mich nur angeschaut und festgestellt, dass du nicht mehr ohne mich leben kannst“, meinte sie scherzhaft.
Er beugte sich zu ihr hinüber, bis ihre Lippen nur noch einen Hauch voneinander entfernt waren. „Eine plausible Erklärung, denn immer häufiger habe ich genau das Gefühl in deiner Gegenwart.“
Bryony schloss die Distanz zwischen ihnen und gab ihm einen liebevollen Kuss. Rafael erwiderte ihn auf spielerische, neckende Weise, und Bryony spürte ein köstliches Kribbeln bis hinunter in die Zehenspitzen.
„Ich habe hier Tee, aber wie ich sehe, seid ihr nicht sonderlich daran interessiert“, meinte Mamaw lachend.
Bryony zog den Kopf zurück und drehte sich zu ihrer Großmutter herum, die mit zwei Teegläsern in den Händen in der Glastür stand. „Natürlich möchte ich deinen Tee. Es ist der Beste im ganzen Süden.“
„Mag ich ihn?“, fragte Rafael mit einem kleinen Grinsen.
Mamaw kam heran und reichte ihm ein Glas. „Natürlich, junger Mann. Du hast mir versichert, er wäre besser als all der
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