HABE MUTTER, BRAUCHE VATER - Mallery, S: HABE MUTTER, BRAUCHE VATER
Vorstellung, was ihre Eltern durchgemacht haben mussten, entsetzlich. „Ich habe weder auf der Straße noch in einer dieser Unterkünfte gelebt, sondern bei Mitch. Ein paar Monate lang zumindest. Dann haben wir uns getrennt, und ich habe einen Job bei einer anderen Band angenommen.“ Sie beschloss, die allzu unerfreulichen Details ihres damaligen Lebens zu überspringen. „Es stellte sich heraus, dass ich ein gutes Händchen beim Organisieren billiger Unterkünfte und überhaupt bei der Organisation von Tourneen hatte, also habe ich diese Aufgaben übernommen. Ich bekam das Geld dafür bar auf die Hand und habe mir meistens mit anderen Mädchen zusammen ein Apartment gemietet. Ihr hattet also keine Chance, mich zu finden.“
Da war er wieder, dieser Blick zwischen ihren Eltern. Was dachten sie gerade? Dass ihre Tochter eine einzige Enttäuschung war? Dass sie ohnehin nicht mehr von ihr erwartet hatten?
„Ich kann es nicht fassen, dass du dachtest, wir würden nicht mit dir reden wollen“, sagte ihre Mutter. „Ich habe dich geliebt, Elissa. Du warst meine Tochter.“
Elissa versuchte, nicht zu viel darüber nachzudenken, dass ihre Mutter gerade in der Vergangenheit geredet hatte. „Ich weiß, Mom. Aber ich war jung, dumm und hatte …“ Hatte Angst, hätte sie beinahe gesagt. „Hatte ein schlechtes Gewissen“, fuhr sie stattdessen fort. „Deshalb habe ich nie hinterfragt, was Bobby mir damals gesagt hat. Es ergab alles einen Sinn. Heute weiß ich, dass ich hartnäckiger hätte nachfragen sollen.“
Ihre Mutter deutete auf den leeren Stuhl. „Setz dich, Bobby. Was du getan hast, war falsch. Aber darüber reden wir später.“
Ihr Bruder gehorchte. Doch an seinem Gesichtsausdruck war zu erkennen, wie schlecht er sich fühlte. Zum ersten Mal, seit Elissa die ganze Wahrheit kannte, hatte sie Mitleid mit ihm. Er hatte bestimmt Schlimmes durchgemacht.
„Ich habe einen Riesenfehler gemacht“, sagte sie. „Und ich bereue ihn sehr. Ich wünschte, ich könnte alles ungeschehen machen.“
Ihre Mutter versuchte zu lächeln. „Schon gut, nun bist du ja wieder da. Das ist das Wichtigste, nicht wahr, Kevin?“
Ihr Vater nickte langsam. Er wirkte nicht völlig überzeugt.
Elissa spürte einen dicken Kloß im Hals. Irgendwie hatte sie gehofft, mit offenen Armen und bedingungsloser Liebe empfangen zu werden. Nicht mit Fragen zu ihrer verkorksten Vergangenheit.
Ihre Mutter holte tief Luft und straffte ihre Schultern. „Nun, warum hat es dich wieder nach Seattle verschlagen?“
Interessante Frage, dachte Elissa. Sie war sich nicht sicher, wie viel sie ihren Eltern darüber erzählen sollte. „Ich war schwanger.“ Es hatte keinen Sinn, es zu verschweigen. „Deshalb habe ich zu Hause angerufen. Ich hatte Angst vor der Zukunft … Egal, es ist ja alles gut gegangen.“
Ihre Mutter wurde blass. „Du hast ein Kind? Ich habe ein Enkelkind?“
Elissa nickte. „Sie heißt Zoe, ist fünf Jahre alt und kommt schon in die Vorschule. Mom, sie ist wunderbar. Intelligent, humorvoll und an allem interessiert, was um sie herum passiert.“
„Eine Enkeltochter? Oh, Kevin.“ Die Tränen begannen wieder zu fließen.
„Du hast sie Zoe genannt?“, fragte ihr Vater. Seine Stimme hatte nun einen nicht mehr ganz so kühlen Klang.
„Nach Grandma Zoe, ja.“
„Das hätte ihr gefallen“, brummte er gerührt.
„Wer ist der Vater?“, wollte ihre Mutter wissen. „Ich nehme an, du bist nicht mehr mit ihm zusammen?“
„Er ist tot“, antwortete Elissa. Sie wusste, dass es sinnlos wäre zu erklären, welche Rolle Neil in ihrem Leben spielte. Manchmal verstand sie es ja selbst nicht.
„Aber er war ein Rocksänger?“ Ihr Vater sagte es in einem Ton, als fragte er, ob sie sich irgendwo Läuse geholt hätte.
„Und Songschreiber.“ Elissa holte tief Luft. „Mir ist klar, dass ich viel falsch gemacht habe. Jeder Mensch macht Fehler. Bei mir hatte es leider schwerwiegende Konsequenzen. Aber ich habe überlebt. Zoe und ich sind glücklich zusammen. Mein Leben ist schön, so wie es jetzt ist. Und das habe ich auch dem zu verdanken, was ihr mir früher beigebracht habt.“
„Wenn du zu schätzen gewusst hättest, was wir dir beigebracht haben …“, warf ihr Vater ein, doch Leslie unterbrach ihn, indem sie eilig den Kopf schüttelte.
„Was hat dich nun dazu bewegt, zu uns zurückzukommen?“, fragte sie.
Elissa sah ihren Bruder an. „Bobby hat einen Privatdetektiv beauftragt, mich zu suchen. Er wollte, dass ich
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