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Haben oder Nichthaben

Haben oder Nichthaben

Titel: Haben oder Nichthaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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hatte, und das Boot mit der Dünung zu schlingern begann, wachte er auf.
    «Ich wußte ja, du würdest mich mitnehmen, Harry», sagte er.
    «In die Hölle werde ich dich mitnehmen», sagte ich. «Du bist nicht mal auf der Mannschaftsliste. Ich hab nicht übel Lust, dich über Bord springen zu lassen.»
    «Du bist ein alter Spaßvogel, Harry», sagte er. «Wir conchs sollten zusammenhalten, wenn wir in der Klemme sind.»
    «Du», sagte ich, «mit deiner Klappe. Wer soll deiner Klappe trauen, wenn du eingeheizt hast?»
    «Ich bin ein ordentlicher Kerl, Harry. Stell mich auf die Probe, und du wirst sehen, was ich für ein ordentlicher Kerl bin.»
    «Bring mir mal die beiden Flaschen», sagte ich zu ihm. Ich dachte an etwas anderes.
    Er brachte sie zum Vorschein, und ich nahm einen Schluck aus der offenen Flasche, und ich stellte beide vorn neben das Ruderrad.
    Da stand er, und ich blickte ihn an. Er tat mir leid, und das, was ich tun mußte, auch. Scheiße, ich kannte ihn, als er noch ein ordentlicher Kerl war.
    «Was ist denn mit dem Boot los, Harry?» fragte er.
    «Ist in Ordnung.»
    «Was ist denn los? Warum siehst du mich denn so an?»
    «Mensch», sagte ich zu ihm, und er tat mir leid. «Du hast dich ganz schön in die Tinte gesetzt.»
    «Was meinst du denn, Harry?»
    «Ich weiß noch nicht», sagte ich. «Ich hab’s mir noch nicht richtig überlegt.»
    Wir saßen eine Weile da, und mir war nicht danach, mich weiter mit ihm zu unterhalten. Als ich mir erst mal klar darüber war, fiel’s mir schwer, mit ihm zu reden. Dann ging ich hinunter und holte das Repetiergewehr heraus und die Winchester 30-30, die ich immer unten in der Kajüte hatte und hängte sie in ihren Behältern oben am Deck des Kajüthauses, wo wir gewöhnlich die Angelruten aufhängten, direkt über dem Ruderrad auf, wo ich an sie rankonnte. Ich heb sie in so ganz großen Behältern aus geschorener Schafwolle auf, wo die Wolle innen mit Öl getränkt ist. Das ist die einzige Art, wie man sie auf einem Boot vor dem Verrosten bewahren kann.
    Ich lockerte den Ladehebel und probierte ihn ein paarmal, und dann lud ich Patronen und schob eine in den Lauf. Ich tat eine scharfe Patrone in die Kammer von der Winchester und füllte das Magazin. Ich holte die Special Smith & Wesson, 0,38er, die ich hatte, als ich oben in Miami bei der Polizeitruppe war, unter der Matratze hervor und säuberte und ölte sie und steckte sie mir in den Gürtel.
    «Was ist los, verflucht noch mal?» sagte Eddy. «Was ist los?»
    «Nichts», sagte ich.
    «Wozu sind denn all die verdammten Gewehre?»
    «Die hab ich immer an Bord», sagte ich. «Um Vögel zu schießen, die den Köder nicht zufrieden lassen, oder um Haie zu schießen, oder wenn ich an den Keys kreuze.»
    «Was ist los, verflucht noch mal?» sagte Eddy. «Was ist los?»
    «Nichts», sagte ich zu ihm. Ich saß da, und die verdammte 0,38er baumelte gegen mein Bein, wenn das Boot schlingerte, und ich sah ihn an. Ich dachte, es hat keinen Sinn, es jetzt zu tun. Jetzt werde ich ihn brauchen können.
    «Wir haben noch eine Kleinigkeit zu erledigen», sagte ich. «Drüben in Bacuranao. Wenn’s soweit ist, werd ich dir sagen, was du zu tun hast.»
    Ich wollte es ihm nicht zu lange vorher sagen, weil er sich Gedanken machen und solchen Schiß kriegen würde, daß er dann zu nichts zu gebrauchen ist.
    «Jemand besseres als mich könntest du gar nicht haben, Harry», sagte er. «Ich bin der Richtige für dich. Ich geh mit dir durch dick und dünn.»
    Ich sah ihn da vor mir, lang und triefäugig und tatterig, und ich sagte kein Wort.
    «Hör mal, Harry. Würdest du mir nur gerade eben mal einen geben?» fragte er mich. «Ich will nicht ‘n Tatterich kriegen.»
    Ich gab ihm einen, und wir saßen da und warteten aufs Dunkelwerden. Es war ein schöner Sonnenuntergang, und es ging eine angenehme kleine Brise, und als die Sonne ziemlich tief stand, warf ich die Maschine an und steuerte langsam dem Land zu.

4
    Wir lagen in der Dunkelheit ungefähr eine Meile vom Land entfernt. Mit Sonnenuntergang war die Strömung stärker geworden, und ich bemerkte, wie sie hineinflutete. Weit weg, im Westen, konnte ich das Leuchtfeuer vom Morro sehen und den Lichtschein von Havanna, und die Lichter uns gegenüber waren Rincon und Baracoa. Ich steuerte das Boot gegen die Strömung, bis ich an Bacuranao vorbei und fast in Cojimar war. Dann ließ ich das Boot weitertreiben. Es war reichlich dunkel, aber ich wußte genau, wo wir waren. Wir hatten alle

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