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Haben oder Nichthaben

Haben oder Nichthaben

Titel: Haben oder Nichthaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Weile kam der Doktor heraus. Sie sah ihn an, und er schüttelte den Kopf.
    «Kann ich hineingehen?» fragte sie.
    «Noch nicht», sagte er.
    Sie ging zu ihm hinüber. «Ist er bewußtlos?» fragte sie.
    «Ja, leider, Mrs. Morgan.»
    «Kann ich hineingehen und ihn sehen?»
    «Noch nicht. Er ist im Operationssaal.»
    «Herr Jesus», sagte Marie. «Herr Jesus. Ich bring die Mädchen nach Hause. Dann komm ich wieder.»
    Ihr Hals war hart geschwollen, so daß sie nicht schlucken konnte.
    «Kommt, Mädchen!» sagte sie. Die drei Mädchen folgten ihr hinaus zu dem alten Auto. Sie setzte sich ans Steuer und ließ den Motor an.
    «Wie geht’s Paps?» fragte eines der Mädchen.
    Marie antwortete nicht.
    «Mutter, wie geht’s Paps?»
    «Seid still!» sagte Marie. «Bitte, sprecht nicht mit mir.»
    «Aber…»
    «Sei still, Schatz!» sagte Marie. «Seid nur still und betet für ihn.»
    Die Mädchen fingen von neuem zu weinen an.
    «Verflucht!» sagte Marie. «Plärrt nicht so! Ich hab gesagt, ihr sollt für ihn beten.»
    «Das werden wir», sagte eines der Mädchen. «Ich habe nicht aufgehört mit Beten, seit wir ins Hospital gegangen sind.»
    Als sie auf den abgefahrenen weißen Korallenkies der Rocky Road einbogen, fiel der Scheinwerfer des Autos auf einen Mann, der unsicher vor ihnen hin und her schwankte.
    Irgendein armer Süffel, dachte Marie. Irgendein armer, gottverlassener Süffel.
    Sie kamen an dem Mann vorbei, der Blut im Gesicht hatte und der im Dunkeln unsicher weiterstolperte, nachdem die Lichter des Autos die Straße weiter oben beleuchteten. Es war Richard Gordon auf dem Weg nach Hause.

    Marie hielt vor der Haustür.
    «Geht zu Bett, Mädchen!» sagte sie. «Geht rauf ins Bett!»
    «Aber was ist denn mit Paps?» fragte eines der Mädchen.
    «Seid still!» sagte Marie. «Um Himmels willen, bitte, seid doch still.»
    Sie drehte mit dem Wagen auf der Straße und fuhr ins Hospital zurück.
    Als sie wieder am Hospital angelangt war, lief Marie Morgan rasch die Stufen hinauf. Der Doktor kam ihr in der Veranda entgegen, als er aus der Fliegentür trat. Er war müde und wollte nach Hause.
    «Er ist hinüber, Mrs. Morgan», sagte er.
    «Er ist tot?»
    «Er starb auf dem Operationstisch.»
    «Kann ich ihn sehen?»
    «Ja», sagte der Doktor. «Er ist sehr friedlich hinübergegangen, Mrs. Morgan. Er hat keine Schmerzen gehabt.»
    «Oh, verdammt», sagte Marie. Tränen liefen ihr das Gesicht hinunter. «Oh», sagte sie. «Oh, oh, oh.»
    Der Doktor legte ihr die Hand auf die Schulter.
    «Fassen Sie mich nicht an», sagte Marie. Dann: «Ich möchte ihn sehen.»
    «Kommen Sie!» sagte der Doktor. Er ging mit ihr einen Gang entlang und in ein weißes Zimmer, wo Harry Morgan auf einem fahrbaren Tisch lag. Ein Laken war über seinen großen Körper gebreitet. Das Licht war sehr hell und warf keine Schatten. Marie stand auf der Schwelle und sah verstört aus.
    «Er hat gar nicht gelitten, Mrs. Morgan», sagte der Doktor.
    Marie schien ihn nicht zu hören.
    «Herr Jesus», sagte sie und fing wieder an zu weinen. «Sieh dir sein gottverfluchtes Gesicht an.»

18
    Ich weiß nicht, dachte Marie Morgan, als sie am Eßzimmertisch saß, ich kann’s nur immer gerade einen Tag auf einmal ertragen und eine Nacht auf einmal ertragen, aber vielleicht wird’s anders. Es sind diese gottverfluchten Nächte. Wenn ich mir was aus den Mädchen machte, war’s anders. Aber ich mach mir nichts aus den Mädchen. Trotzdem muß ich mich um sie kümmern. Ich muß mit irgendwas anfangen. Vielleicht kommt man darüber weg, daß man innen tot ist. Wahrscheinlich ist es ganz egal. Auf jeden Fall muß ich anfangen, irgendwas zu tun. Heute ist es eine Woche her. Ich hab Angst, daß es so wird, daß ich mich nicht mehr erinnern kann, wie er aussieht, wenn ich absichtlich an ihn denke. Das war, wie ich die furchtbare Angst kriegte, als ich mich nicht mehr an sein Gesicht erinnern konnte. Ich muß anfangen, was zu tun, ganz egal, wie mir zumute ist. Wenn er Geld hinterlassen hätte, oder wenn es eine Belohnung gegeben hätte, wär’s besser gewesen, aber zumute wär mir auch nicht besser. Das erste, was ich tun muß, ist, versuchen, das Haus zu verkaufen. Die Scheißkerls, die ihn erschossen haben. Himmel, die dreckigen Scheißkerls. Das ist das einzige Gefühl, das ich habe. Haß und ein leeres Gefühl. Ich bin leer wie ein leeres Haus. Na, ich muß anfangen, irgendwas zu tun. Ich hätte zu der Beerdigung gehen sollen. Aber ich konnte nicht. Aber trotzdem

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