Habgier: Roman (German Edition)
Uhr. Catalina Melendez tauchte zwanzig Minuten später auf. Sie hatte einen mokkafarbenen Teint und war klein und durchtrainiert. Strähnen ihres lockigen schwarzen Haars wehten ihr immer wieder ins Gesicht und in den Mund. Sie trug eine schwarze Hose, Stiefel und eine schwarze Bomberjacke, die auf dem Rücken mit den gelben Buchstaben NTSB geschmückt war.
»Sorry für die Verspätung.« Sie zog einen Bund mit Schlüsseln aus der Tasche und ging sie durch. »Meine Sechsjährige war in einen Unfall mit einer Tüte Orangensaft verwickelt. Wie lange warten Sie schon?«
»Nicht lange«, log Decker. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie so früh hierherkommen... Officer Melendez?«
»Sagen Sie ruhig Cat zu mir.« Wieder zupfte sie eine Strähne aus dem Mundwinkel. »Heute ist es windig, und das hilft uns nicht gerade weiter. Wirbelt die Überreste durch die Gegend. Ich hoffe, Sie haben eine Maske dabei? Den Mist hier wollen Sie doch nicht einatmen.«
Decker zog eine Maske aus seiner Jacke und setzte sie auf.
»Los geht’s.« Cat öffnete eins der fünf Vorhängeschlösser, die das Areal sichern sollten. »Sie sind Detective, stimmt’s?«
»Pete reicht.«
»Von der hiesigen Mordkommission?«
»Ja... West Valley.«
»Und es geht um die Jane Doe, die wir vor zehn Tagen gefunden haben.«
»Genau. Können Sie mir sagen, wo Sie den Leichnam entdeckt haben?«
»Klar«, sagte Cat, »passen Sie auf, wo Sie hintreten, und bleiben Sie auf dem Pfad.«
Decker folgte mit gesenktem Blick der ausgetretenen Spur, die sich durch das gesamte Gebiet zog. Es wunderte ihn, wie pulverartig verbranntes Material blieb.
»Ja, Pete, wir durchsuchen das Ganze sehr langsam, nicht nur, um erhärtendes Beweismaterial über die Unfallursache zu finden, sondern auch, damit uns ja kein biologisches Material entgeht. Offiziell gehören die Leichenteile in den Zuständigkeitsbereich des Coroners, aber wir sind viel eher daran gewöhnt, so was zu machen.«
»Und ganz offiziell gesehen fällt alles in Sachen Jane Doe in unseren Bereich, denn es ist ziemlich offensichtlich, dass sie ermordet wurde.«
»Uns allen war klar, dass Jane Doe nicht der vermisste Leichnam aus dem Unfall sein konnte – die Stewardess.«
»Roseanne Dresden.«
»Ja, die mysteriöse Roseanne.«
»Irgendein Indiz, dass sie an Bord des Flugzeugs war?«
»Nach Details müssen Sie den Coroner fragen, aber ehrlich gesagt...« Cat senkte ihre Stimme. »Ich glaube, da hat jemand einen Fehler gemacht... oder eben Schlimmeres.«
»Betrug«, sagte Decker.
Cat zuckte mit den Achseln. »Die Versicherungsdetektive sind ja ziemlich auf Zack, aber man kann nicht jeden Lügner entlarven. Und je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird’s.«
Decker wusste, es wäre nicht das erste Mal, dass ein cleverer Gauner verschwindet, nachdem er seiner Ehefrau gesagt hat, sie soll ihn als verstorben melden. Und danach versüßen sich die beiden mit dem Versicherungsgeld ihren Lebensabend. Möglicherweise steckten Roseanne und Ivan unter einer Decke bei dem Vorhaben, die Versicherung zu betrügen.
Vorsichtig bewegten sich Cat und Decker zwischen Löchern und Ansammlungen des verkohlten Materials vorwärts. Lauter Beweise, die unter Trümmern begraben lagen, nicht sehr viel anders als bei dem Haus in Jerusalem, von dem Rina gesprochen hatte. Wieder kam eine Böe auf. Umherfliegende Asche umtänzelte ihre Fußknöchel wie ein Schwarm Bienen. Die Landschaft, entstanden aus Feuer und Rauch, war schwarz und öde, und dennoch schossen smaragdgrüne Triebe aus dem Boden und reckten sich der Sonne entgegen. Asche war ein ungeheuerlicher Dünger. In diesem lichtlosen Gemälde rührten die einzigen anderen Farbtupfer von Umverpackungen und Bechern der Fast-Food-Ketten her. Cat bückte sich und hob eine mit Abfall und Ameisen gefüllte McDonald’s-Tüte hoch.
»Igitt!« Sie blickte sich suchend nach einer ausgewiesenen Mülltonne um und schmiss das Zeug hinein. »Echt widerlich und lästig. Alles wird dadurch verunreinigt. Gott sei Dank sind wir bald fertig.«
Laut einem vorläufigen Untersuchungsbericht, so behaupteten es die Medien, sollte eine defekte Hydraulik für alles verantwortlich gewesen sein. Decker fragte Cat danach.
»Ich kann dazu nichts sagen«, meinte Cat. »Es gibt Millionen von Teilchen in einem Hangar auf dem Flugplatz. Die Ingenieure werden sie untersuchen und der Sache auf den Grund gehen, aber das dauert meistens ein Jahr. Manchmal länger, manchmal ewig.«
»Sie
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