Habgier: Roman (German Edition)
ziemlich verwirrend, und für Mike auch. Leider kann man das Video der Sendung nicht mehr kaufen, und es gelingt uns nicht, eine Kopie aufzutreiben.«
»Erinnert sich Mike an den Fall?«
»Nein, genau das ist das Problem. Es gab einen kurzen Trailer zu der Episode, aber darin wurde nur die Gerichtsmedizin erwähnt, sonst nichts, außer dass sich der Fall irgendwo in der Nähe von Wisconsin ereignet hat.«
»Ich bin mir sicher, dass es irgendwo eine Kopie des Videos gibt.«
»Das Gleiche hat Hollander auch gesagt, und er versucht jetzt, eine aufzutreiben. Währenddessen lasse ich Wanda Bontemps alle großen Fälle in Wisconsin überprüfen.« Decker warf den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. »Wir sind noch nicht verzweifelt, aber kurz davor.«
»Es wird klappen.«
»Manchmal ja, manchmal nein.«
»Vielleicht solltest du mal eine Verschnaufpause einlegen bei der Identifizierung der Leiche und dich stattdessen auf das Apartmenthaus konzentrieren.«
Decker kratzte sich am Kopf. »Entschuldige, das versteh ich jetzt nicht: Es gibt kein Apartmenthaus mehr.«
»Doch, es ist da, wenn auch nur eingestürzt und zu Asche verbrannt. Wände sprechen, sogar verbrannte.«
»Klar, ich rede stundenlang gegen Wände, vor allem wenn ich mich mit Idioten unterhalten muss.«
»Mach nur Witze, aber es stimmt.«
»Ich mach keine Witze.« Decker ließ den Sarkasmus weg. Rina gab nicht oft Ratschläge, also lohnte es sich hinzuhören, wenn sie von der Regel abwich. »Also, wie meinst du das?«
»Nur weil Beton, Asche und Holz leblose Materialien sind«, begann Rina, »heißt das nicht, sie hätten nichts mitzuteilen. Im Judaismus gibt es eine ganz klare Vorstellung davon, dass Wände Träger von Botschaften sind.«
Decker lächelte. »Die Schrift an der Wand.«
»Zu wörtlich genommen. Das Menetekel aus dem Buch Daniel ist eigentlich eine geheimnisvolle Botschaft, und unzählige Bände sind über mögliche Bedeutungen verfasst worden. Aber die Botschaften sind nicht immer so verschlüsselt. Nimm die Regeln des tzarat ... Lepra... aber nicht die durch Bakterien verursachte Lepra, sondern eine Art spirituelle Lepra. Man bekommt tzarat – einen stark juckenden Hautausschlag ähnlich dem von Aussätzigen -, wenn man lashon hara ausübt, die üble Nachrede.«
»So was wie bei Miriam, als sie in der Bibel Mose kritisiert.«
»Sie redete nicht schlecht über ihren kleinen Bruder. Sie fand nur, er solle mehr Zeit bei seiner Frau zu Hause verbringen. Doch Er nahm Anstoß daran, und sie wurde mit Aussatz bestraft, denn Miriam war eine Prophetin, und als solche sollte sie nichts Schlechtes über ihren Bruder sagen, auch wenn es in bester Absicht geschah. Normalerweise wird man gewarnt, bevor man tzarat auferlegt bekommt. Zuerst sind die Wände des Hauses betroffen, als sichtbare Aufforderung an die Bewohner, ihr Verhalten zu ändern. Wenn diese Zeichen an der Wand ignoriert werden, breitet sich die Krankheit aus, bis die Bewohner des Hauses physisch an tzarat leiden.«
»Alles klar«, sagte Decker, »wenn ich das nächste Mal eine Jane Doe finde, suche ich in ihrem Wohnzimmer nach Wunden auf den Wänden.«
Rina küsste die Hand ihres Mannes. »Spotte nur, Lieutenant, aber genau das ist es doch, was die Polizei macht: Ihr durchkämmt einen Tatort nach Spuren, die euch helfen sollen, das Verbrechen aufzuklären.«
»Eins zu null für dich, Rina, nur leider wurde der Tatort von diesem Verbrechen zerstört.«
»Nichts ist jemals völlig zerstört. Sieh dir Jerusalem an, Peter. Jedes Mal, wenn jemand dort gräbt – sei es im Rahmen von archäologischen Forschungen oder einfach nur für das neue Fundament eines Wohnhauses -, findet man etwas: von modernem Restmüll über alte Münzen bis hin zu Relikten und Wasserkrügen. Erst vor zehn Jahren hat man am Stadtrand, in Rehavia, ein altes Grab aus der Periode des Zweiten Tempels entdeckt. Nur weil oberhalb der Erde etwas zerstört wurde, heißt es noch lange nicht, dass das, was unter der Erde liegt, keine Geschichte zu erzählen hat.«
»Ich behaupte ja auch gar nicht, dass alles zerstört wurde. Natürlich hat das Erkennungsteam Hunderte von Hinweisen auf menschliche DNA und auf persönliche Gegenstände gefunden. Alles, was ich sagen will, ist, dass der Original-Schauplatz in seine Einzelteile zerlegt wurde und jetzt einem Aschenbecher gleicht.«
»Asche konserviert vieles«, beharrte Rina. »Bei einer dieser Tunnelführungen unter der Westlichen Mauer kann man noch genau
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