Habiru
gewesen wären, hätte sie diese Art von Träumen schon längst als Wahn abgetan, und sich wahrscheinlich freiwillig einweisen lassen.
War es real? So real, wie der drohende Krieg im Irak, bei dem alle Bemühungen, eine friedliche Lösung zu finden, von der US-Regierung torpediert wurden?
Aber es war weniger der mögliche Krieg im Irak, der sie beschäftigte, obwohl ihr dämmerte, dass heute ein entscheidender Tag dort unten sein könnte. Die schlimmen Eindrücke aus Eridu verfolgten sie auch jetzt, nachdem sie wach war. Sie waren schlimm, selbst an Details konnte sie sich erinnern, vor allem das Bild von Nestas abgeschlagenem Kopf. Aber sie wollte sich nicht erinnern, sie wollte diese Bilder los werden - sonst würde sie wirklich verrückt oder depressiv werden. Sie ging ins Bad. Einen Fön wollte sie um die Zeit nicht benutzen. Sie wollte ihre Eltern nicht aufwecken, aber sie nahm sich ein Handtuch und rubbelte sich trocken.
Anschließend ging sie zurück auf ihr Zimmer und legte sich wieder hin. Sie ließ die Lampe an, Dunkelheit konnte sie nicht ertragen. Einschlafen konnte sie nicht.
Ich muss meinen Kopf dringend frei machen von den schrecklichen Eindrücken, und am besten hilft immer noch etwas Ablenkung. Also machte sie ganz leise Musik an. Das half schon mal ein wenig. Die Uhr zeigte 3.51 Uhr, die Zeit verging unendlich langsam.
Sie versuchte an etwas anderes zu denken. In ihr passierte etwas. Sie begriff, dass es sie zerstören würde, wenn sich ihre Gedanken ständig weiter im Kreis um diese schrecklichen Ereignisse drehen würden. Also beschloss sie, diese so weit wie möglich von ihr wegzuschieben.
Und betete. Das erste Mal seit langem. Sie betete darum, zu vergessen. So wie sie mal gehört hatte, gab es tatsächlich eine Chance, dass ihr Gehirn vergessen
würde.
Ein Teil ihrer Energie widmete sie der Frage, was das alles zu bedeuten hatte. Ihr schien es ein Widerspruch zu sein, alles vergessen zu wollen, wenn sie aus irgendeinem Grund mittels ihrer Träume an diese Ereignisse aus ferner Vergangenheit erinnert werden sollte. Konnte sie sich es überhaupt erlauben, zu vergessen? Sie wusste es nicht. Ihr Kopf dröhnte. Sie war sich mehr und mehr sicher, ein einfaches vergessen wäre nicht akzeptabel. Sie musste das Rätsel lösen, egal, was das zu bedeuten hatte. Sie fühlte sich Schenas Welt gegenüber verantwortlich.
Auch der Gedanke an den wahrscheinlich bald beginnenden Irak-Krieg war schrecklich, und auch daran hätte sie am liebsten nicht denken wollen. Aber das konnte sie sich nicht leisten.
Was konnte es für einen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen geben? Vordergründig war es klar. In beiden Welten drohte Krieg, weil Fremde Interesse daran hatten, das Land mit den zwei Strömen zu erobern. Aber ansonsten? Der Einfall der Habiru war Geschichte, Tausende Jahre her. Sie waren ein Wüstenvolk, welches auf der Suche nach Land und Nahrung war. Irgendwie hatte die Wüste diese Menschen verändert. Heute war es ein Staat mit einer gewählten Regierung, welche vordergründig mit den Interessen spielte, und schöne, idealistische Ziele wie Frieden und Demokratie hatte, wahrscheinlich aber nur an den dem wichtigsten Rohstoff der westlichen Welt interessiert war, dem irakischen Öl.
Da gab es doch keine Gemeinsamkeiten. Oder doch? Beides Mal kam die Bedrohung für den Frieden von Außen. Aber wie sie nachgeforscht hatte, gab es im Irak auch vorher schon Gewalt und viele Tote. Vom wirklichen Frieden konnte also auch vorher keine Rede sein. In Wirklichkeit sah es so aus, als ob dort schon eine sehr lange Tradition der Gewalt herrschte. Der gesamte Nahe Osten war doch eigentlich ein Pulverfass. Israel, Palästina, Syrien, Jordanien, Ägypten, das waren doch alles Länder, die sich nicht erst seit gestern bekriegten. Aus dem Religionsunterricht wusste sie, dass der Konflikt dort so alt wie die Menschheit war. Die Geschichte der Menschheit begann schon mit fürchterlichen Kriegen, mit ständigen Völkerwanderungen, mit Knechtschaft, Unterdrückung, Sklaventum. Dagegen war zumindest die Situation heute in den westlichen Ländern ein Segen.
Es war wie verhext. Sie fühlte förmlich, wie etwas in ihr aufschrie, sie war so kurz vor der umfassenden Lösung des Rätsels, dass es schon fast wehtat.
Über diese Gedanken war sie doch wieder müde geworden, und ihre Augen schlossen sich wieder.
Um die gewohnte Zeit klingelte ihr Wecker. Es war 6.55 Uhr. Sie war nicht nur immer noch müde, es war eine
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