Habiru
die ihre tonnenschwere Bomben-Fracht über ihren Zielen abwerfen würden. Der Krieg gegen den Irak hatte mal wieder begonnen. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, aber da kam gerade ein Ausschnitt aus der Pressekonferenz von George W. Bush, die von einem Übersetzer sehr holprig ins Deutsche übersetzt wurde:
»Meine lieben Bürger, zu dieser Stunde sind Amerikanische und verbündete Kräfte dabei, die erste Stufe der militärischen Operation gegen den Irak auszuführen, um den Irak zu entwaffnen, um seine Einwohner zu befreien und die Welt vor einer tödlichen Gefahr zu beschützen.«
Dann kam eine Passage, in der die Gefahr, die von Saddam ausging beschrieben wurde. Es war nicht so interessant. Sie zog sich nebenbei an. Aufhorchen tat sie erst wieder, als der Übersetzer folgendes sagte:
»Wir kommen in den Irak mit großem Respekt vor seinen Einwohnern, vor ihrer großartigen Kulturgeschichte und ihren verschiedenen Glaubensrichtungen. Wir haben keinerlei Ambitionen im Irak, außer eine Gefahr zu beseitigen und den Einwohnern die Kontrolle über ihr Land zurückzugeben.«
Ihr Hass auf G.W. Bush wurde immer größer. »Du Armleuchter, das glaubt dir doch eh keiner. Außerdem werden wir das ja sehen.«
Als sie wieder hinhörte sagte er gerade:
»Nun hat der Konflikt begonnen, und der einzige Weg seine Dauer zu verkürzen ist eine entschiedene Unterstützung unserer Kräfte. Und ich versichere Ihnen, das wird kein halbherziger Krieg, und wir werden kein anderes Ergebnis als einen Sieg akzeptieren.«
Sarah war fassungslos. Hatte er das eben wirklich gesagt? Es ging noch weiter:
»Meine lieben Mitbürger, wir werden die Gefahren für unser Land und die ganze Welt überwinden. Wir werden diese Zeit der Gefahr durchstehen und weitermachen mit unserer Arbeit für den Frieden. Wir werden unsere Freiheit verteidigen. Wir werden auch anderen Freiheit bringen und - wir werden siegen. Gott schütze unser Land und alle, die es verteidigen. Gute Nacht.«
Sie war wütend - wütend und sauer. Warum nur dachte sie an Hitler? Hatte er nicht eine ähnliche Sprache benutzt, um sein Volk auf den Krieg einzuschwören? Nur der totale Sieg zählte. Wie konnte man Frieden mit Krieg erreichen? War das nicht unlogisch? Und die Sache mit den Massenvernichtungswaffen hatte er auch wieder erwähnt, obwohl schon mehrere UN-Mitarbeiter öffentlich erklärt hatten, es gäbe eine solche Bedrohung nicht oder nicht mehr.
Ihr Mitgefühl galt schon jetzt all den Opfern, die dieser Krieg fordern würde. Jedes Opfer wäre die Saat für neuen Hass, neues Potenzial für neue Gewalt und neuen Terror.
In der Schule wurde es nicht besser. Weil nun der Irak-Krieg begonnen hatte, und sie heute Unterricht bei ihrem Klassenlehrer hatte, war es natürlich auch dort Thema. Zwar war eigentlich Deutsch dran, aber Herr Schmidt war da sehr flexibel. Er sagte: »Heute machen wir aus aktuellem Anlass eine Politik-Stunde, die Deutsch-Stunde holen wir in der nächsten Politik-Stunde nach.«
Da alle mit Deutsch gerechnet hatten und sie seine tagesbezogenen Politikkritischen Stunden mochten, wurde es etwas lauter. Erst recht, als sie sahen, dass er ein Buch mitgebracht hatte, es hieß »1984« von George Orwell.
Sarah hatte schon mal davon gehört, es aber noch nie gelesen. Heute las Herr Schmidt daraus vor. Es war spannend. Und die dort geschilderte Welt war furchteinflößend. Ein Herrscher, der immer nur der »Große Bruder« genannt wurde, hatte ein Schreckensreich der totalitären Überwachung und Kontrolle errichtet. Er regierte mit der Angst seiner Untertanen. Auch dort kam es vor: »Krieg bedeutet Frieden!« Und es gab einen ständigen Krieg gegen wechselnde Gegner, Hauptsache, der Proles, so nannte Orwell das normale Volk, war damit beschäftigt, den Gegner zu hassen und war so abgelenkt von seiner erbärmlichen Existenz. Es war ein sehr denkwürdiges und kritisches Buch, und was noch schlimmer war, es kam Sarah so vor, als handle es sich nicht um eine Fiktion. Anschließend hatte Herr Schmidt noch etwas erwähnt, was er kurz zuvor in den Nachrichten gehört hatte. Der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, welch sinnvolle Bezeichnung für einen Mann, der einen Angriffskrieg anfing, sprach in einer weiteren Pressekonferenz von einer sogenannten »Shock and Awe« Taktik, die man im Irak anwenden wollte. Das bedeutete soviel wie schocken und das Fürchten lehren. Erst nach starken und langen Luftangriffen würden Bodentruppen in den Kampf folgen.
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