Hacken
Betreiber welches Clubs plant einen Grill in Mitte, welcheKonzertagentur zieht von Prenzlauer Berg nach Wedding, gibt es noch Bars in der Simon-Dach-Straße, die einen Besuch wert sind. Der Metropolenhaftigkeit, dem Reichtum der City kann eine derartige Besessenheit nicht gerecht werden. In ihren Anfangsjahren eignete sich die Techno-Gemeinschaft den von Miefigkeit und Patriarchat besetzten Begriff der »Familie« an.
Family, das Wort sollte besetzt werden mit lauter guten Eigenschaften, ja, mit Werten. Wir sind cool, unsere Familie suchen wir uns selber aus. Dann leiden wir gar nicht erst an den Dingen, die in den herkömmlichen Familien zur Pein mutieren. Dieser Begriff der Familie kommt mir immer wieder in den Sinn, in den letzten Berliner Jahren, 2003, 2004, 2005. Es bleibt in der Familie, wenn ich Partyeinladungen erhalte, Artikel schreibe, Poster sehe. Ein Besuchsdruck baut sich auf, der weit über das hinausgeht, was eine Großfamilie an Verpflichtungen schnürt. Alles bleibt in der Familie. So schlägt sich mein Mono-Werden in den sozialen Beziehungen nieder. Längst setzt sich Berlin aus diesen Familien zusammen, die als weitgehend geschlossene Systeme funktionieren und höchstens wahrnehmen, dass es noch ein paar andere Systeme gibt. Vier oder fünf gigantische Patchworkfamilien, das ist Berlin.
In einer dieser Familien bricht nun das Tohuwabohu aus. Der reiche Onkel aus München kommt und die hanseatische Tante. MTV Deutschland hält Einzug, und, ein paar Meter die Spree entlang Richtung Mitte, Universal Music. So fallen meine eigeneGeschichte und die der Stadt zusammen. So, wie ich in den Jahren seit meiner Ankunft 1995 zu meiner eigenen Monokultur geworden bin, Musik, Musik, Musik, so ist auch die Stadt ihrem eigenen Mythos aufgesessen. Dass ich überhaupt davon leben kann, Texte zur Popmusik zu veröffentlichen, zählte zunächst zu meinen Träumen. Ich habe es mir nicht einmal gewünscht, das wäre mir unangemessen vorgekommen. So wie Kinder Astronauten werden wollen, unbedingt und unrealistisch.
Ich bin jetzt 33 Jahre alt und komme aus der Ecke, an der sich Arbeiterklasse und untere Mittelschicht treffen. Und doch hat es geklappt mit dem Schreiben. Nun, da der extrem unwahrscheinliche Fall eingetreten ist, dass ich sogar für die
Spex
schreibe, stellt sich die Frage, was ich eigentlich im Land hinter dem Regenbogen so anzustellen gedenke. Keine Ahnung. Das gilt für einige Jahre. Keine Ahnung.
Meine Stadt ist zu Beginn des neuen Jahrtausends ebenso mit Entwicklungen beschäftigt, die von Konstellationen höchster Unwahrscheinlichkeit ausgelöst worden sind. Seit die Mauer gefallen ist, hat Berlin von sich keine Vorstellung mehr. Die berühmte Traufhöhenarchitektur, der Potsdamer-Platz-Kitsch, das soll hier als Indiz genügen. So kramt man vor sich hin, wie die Mode-Designerin Betty Bund es einmal so schön auf den Punkt bringt, »in dieser Bruchbude«. Dann aber genügt es der Stadt, den Jungen und Interessanten eine Heimstätte für ihr neues Family Life zubieten. Kurz bevor ich wegziehe aus dieser Stadt, taucht ein neuer Mythos auf: die Lifestyle Family vom Prenzlauer Berg. Gerne als Hassprojektion. Das aber liegt an der schieren Dichte von Gleichaltrigen, die in den Jahren nach dem Mauerfall aufgebrochen sind. Der Diskurs über die neue Biederkeit am Helmholtzplatz ist Selbsthass. Alter Hut. Aber nachvollziehbar: Diese Suppe ist ziemlich trübe. Noch schwimme auch ich darin.
Es gilt, etwas zu unternehmen. Ich sehe selbst nichts anderes mehr als Berlin in seiner süffigen Selbstzufriedenheit, wenn ich in den Spiegel schaue. Berlin-Junkie, Berlin-Zombie. Ist schon ok, wenn einem das eigene Leben mal entgleitet. Doch es wäre bescheuert, jetzt nicht zu handeln. Ganz für mich alleine ist das kein Problem. Wobei: ich bin gar nicht alleine.
IHR KRIEGT EIN KIND
Runde Münder, die Schlünde sichtbar, so weit geöffnet: »Die Vogelmama füttert ihre Vogelbabys«, pflegt Almut zu sagen. Als sich ihre Band, die Lassie Singers, auflöst, weiß sie, dass sie in Zukunft auf eine andere Art Musik machen möchte. Sie gründet den Popchor Berlin. Zunächst sind es Freundinnen und Bekannte, die Almuts Lieblingslieder singen, Songs der englischen Post Punks Gang Of Four oder Raps zu Vierviertelbeats von Missy Elliott.Karaoke auf großer Bühne. Mir gefällt diese Idee, gehört das Karaokeprinzip des Nachahmens und Interpretierens doch zu den schönsten Ideen des Pop. Almut hat noch die
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