Hacken
inzwischen zum Mythos gewordenen Zeiten von Westberlin miterlebt und kann auf einen entsprechenden Schatz an Bands, Produzenten und Musikerinnen zurückgreifen. Sie lässt nämlich die Instrumentals zu »The Man Who Sold The World« oder »Ray Of Light« jeweils neu anfertigen. Natürlich ist ihr Popchor kein A-Capella-Chor. Es geht hier nicht darum, ans Herz gewachsene Werke zu verdummen durch Padaa-Padomms aus des Basses Kehle.
Zum ersten Mal höre ich den Chor, da ist es eiskalt draußen, Februar, festgefrorene Salzbröckchen auf Eisfußweg. In diesen Zeiten wirkt die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz besonders feierlich, wie der Repräsentationsbau für einen Staat, den es nie geben wird. Drinnen singen um die zwanzig Menschen aus dem Kunst- und Medienmilieu und drucksen rum Die Ausführung ist bei weitem nicht perfekt. Doch was zählt, das ist die Idee. Ich frage eine befreundete Grafikerin, ob der Chor denn noch einen Bariton gebrauchen könne. So lerne ich Fehmi kennen.
Schon vorher war mir dieser Name immer wieder über den Weg gelaufen, auf Flyern und in den Stopper-Anzeigen der Stadtmagazine. Fehmi Baumbach gehört zusammen mit Jim Avignon zur Pop-Kunst-Gruppe
The Bewegungselite
und assoziiert sich mit den Machern der galerie berlintokyo. Aufgrund des Namenshalte ich Fehmi Baumbach für einen er, vielleicht aus der Schweiz, wo Männer ja auch auf Namen wie Beat getauft werden. Ich stelle mir also einen langbärtigen, sehnigen Schweizer vor, dessen »h« im Namen »Fehmi« guttural zerknautscht wird. »Fechmi«. Die Aussprache rate ich sogar richtig. Sonst indes nichts. Denn Fehmi Baumbach ist zwar von äußerster Unkonventionalität und einer gewissen Direktheit. Doch ist sie nicht im Berner Oberland aufgewachsen, sondern in einer Gegend in Niedersachsen. Den Namen der Region vergesse ich immer. Nichts verbindet mich damit. Einen Bart trägt sie auch nicht. Sie sieht gut aus, auch ohne Bart, diesem archaischem männlichen Körpertool, das in jenen Jahren wieder in die Gegenwartsästhetik zurückfindet.
Der Chor probt in der Baracke des Deutschen Theaters, die ihre besten Jahre hinter sich hat. Der Theater-Regisseur Thomas Ostermeier und die Tanz-Choreografin Sasha Waltz haben die kleine Spielstätte wenige Jahre zuvor bespielt, als Off-Theater zum laufenden DT-Betrieb. Nun bildet das Gespann die Intendanz der Schaubühne, und die langgezogene Halle mit den niedrigen Decken ist verwaist. Wir stellen uns im Halbkreis auf und Almut wirft ihr Casio-Keyboard an. Es ist schon so verbraucht, dass es nur noch mit Batterien betrieben werden kann. Der Stromanschluss ist wegen Überbeanspruchung längst unbenutzbar geworden. Wenn die Drum Machine in ihrem blechernen Sound losbängt, öffnen sich unsere Münder, und das Bild entsteht, das Almut so mag: Vögelchenbabys, Vögelchenmama, und zwischen den Tirilierendenfliegen Blicke hin und her, zwischen Bariton und Sopran. Während meiner ersten Wochen erlebe ich diese Proben im Zustand heiligen Ernstes. Die fliegenden Herzchen bringen mich ganz aus dem Konzept. Die Sopranistin Fehmi Baumbach kann darüber auch ihre Einsätze verpassen. Eigentlich hat sie den Ruf, eher zu spät zu den Proben zu kommen. Nun aber steht sie eine Viertelstunde vor Beginn da. Zusammen warten wir auf den Schlüssel. Und sie erzählt von ihren Touren mit Almut, Jim, und all ihren Kunst- und Musikfreunden.
Zwei Jahre später warten wir auf eine Frau, die aus Bayern kommt. Sie bringt uns die Schlüssel, denn wir ziehen zusammen, und weil wir nichts finden konnten in unseren Stammhäusern Prenzlauer Berg und Kreuzberg, ziehen wir nach Neukölln. Zwangsweise, die Mieten sind zu hoch anderswo. Abends gehen wir aus, fährt sie nach Mitte zum Rotweinausschenken im Roten Salon. Tagsüber malt und collagiert sie zuhause und ich schreibe im Atelier. Zuhause erzählt sie mir von ihren »Hippie-Eltern« und betont immer wieder, wie großartig die Landschaft ist, in der sie aufgewachsen ist und die ich nicht kenne: das Land am Elm. Dort gebe es all das hier nicht, die Interessierten und ihre interessante Welt, dafür gebe es Muschelkalk, Landwirtschaft, Buchenwälder und Panoramen. Ob ich denn keine Kreuzworträtsel löse? Fehmi malt die Kästchen zur Entspannung aus, »das pustet das Gehirn ordentlich durch«, und stößt dabei immer wieder auf »Nieders. Höhenz. mit drei Buchstaben«.
»Ihr kriegt ein Kind!« So und ähnlich heißt es. »Nicht mehr lange, und ihr kriegt ein
Weitere Kostenlose Bücher