Hackenholt - 02 - Das letzte Laecheln
vom Robert-Koch-Institut entsinne, starben in Deutschland im vergangenen Jahr weniger als sechzig Menschen an einer solchen Vergiftung. Seit 1992 geht die Anzahl der Erkrankungen stetig zurück. Wenn du das Fleisch komplett durchgarst, werden die Erreger abgetötet, und dir passiert überhaupt nichts.«
»Und woran erkenne ich nun, ob das Fleisch in der Sternmann-Filiale verdorben ist?«
»Solange es verpackt ist, gar nicht. Du musst daran riechen, seine Konsistenz prüfen und beobachten, ob sich die Farbe des Fleisches an der Luft verändert. Aber all das sind nur Hinweise, Auffälligkeiten. Gewissheit kann dir nur eine Laboranalyse geben.«
»Heißt das, es würde überhaupt nichts bringen, wenn du mich in die Filiale begleitest und dir das Fleisch anschaust?«
Schätzle nickte. »Ich komme gerne mit, aber da der Laden seit Samstag geschlossen ist, müsste inzwischen eigentlich der gesamte Vorrat abgelaufen sein. Wenn nicht jemand so dumm war, ein neues Etikett genau über das alte zu kleben, kann ich dir mit bloßen Augen nicht groß helfen.«
Hackenholt schwieg enttäuscht. »Und wie stelle ich nun fest, ob die Aussage unseres Zeugen wahr oder frei erfunden ist?«, fragte er dann ratlos.
»Wenn der Journalist es ernst meint, muss es Verdachtsmomente gegeben haben. Vielleicht hat er eine Laboruntersuchung veranlasst, nachdem ein Kunde gerade gekauftes Fleisch zurückgebracht hatte? Wenn es dir hilft, mache ich morgen einen eingeschobenen Routinebesuch bei den Gübingers und halte die Augen offen. Vielleicht finde ich ja etwas.«
»Und wenn nicht?« Hackenholt blieb pessimistisch.
»Dann gibt es noch die Möglichkeit, in den nächsten Wochen die Läden zu kontrollieren, die von der Firma Gübinger beliefert werden. Einen solchen Vorwurf müssen wir auf jeden Fall ernst nehmen. Nicht auszudenken, was das für einen Skandal gäbe, wenn in der Supermarktkette verdorbenes Fleisch verkauft würde und wir dem trotz Hinweis nicht nachgegangen wären!«
Hackenholt beschloss nach seinem Gespräch mit Gerhard Schätzle spontan nochmals zum Sternmann in die Grolandstraße zu fahren. Während er in seinem Auto das uralte Kopfsteinpflaster der Tetzelgasse hinaufholperte, dachte er nach. Zwar wusste er nun, wie gering die Chance war, etwas zu entdecken, was Korks Theorie stützte, doch hatte sich in seinem Gehirn Schätzles Satz über die doppelt etikettierte Ware festgesetzt. Immerhin das konnte und wollte er sofort überprüfen.
In der Filiale ging er direkt zu den Kühltruhen. Systematisch entnahm er der ersten sämtliche Fleischpakete und stapelte sie vor sich auf der Ablage. Dann inspizierte er jede einzelne Packung. Überrascht war er vor allem von der Menge marinierten Fleisches, die er fand. Doch nachdem er konzentriert beide Truhen durchgesehen hatte, war er keinen Deut schlauer. Mit Sicherheit konnte er nur sagen, dass jedes der Pakete lediglich ein einziges Etikett trug.
Beim Anblick des in der Gefriertruhe gestapelten Tiefkühlfleisches kam ihm ein Gedanke: Konnte man Frischfleisch, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten war, nicht einfach einfrieren und so dem Kunden vorgaukeln, es sei frisch? Gefrorenes Fleisch roch nicht und hatte generell eine blassere Farbe. Auch wenn er in diesem Fall das Tiefkühlfleisch ausschließen konnte, da es von einem anderen Hersteller geliefert wurde, nahm sich Hackenholt vor, Gerhard Schätzle am kommenden Tag zu fragen. Für heute hatte er mehr als genug von Fleisch und den Möglichkeiten seiner illegalen Haltbarmachung.
Freitag
Um fünf Uhr siebenundzwanzig erreichte ein Notruf die Einsatzzentrale der Polizei. Sofort schickte der zuständige Koordinator zwei Funkstreifen der Polizeiinspektion Süd zu dem angegebenen Objekt. Zwei junge Beamte der Bereitschaftspolizei, die an diesem Freitag dazu eingeteilt worden waren, die wie so oft unterbesetzte reguläre Nachtschicht zu unterstützen, trafen als Erste am Hafengelände ein. Schon von der Einfahrt aus bemerkten sie eine auf der Laderampe zusammengekauert sitzende Gestalt. Wie es aussah, hatte sie sich gerade übergeben.
Als der Mann die beiden Uniformierten sah, die auf ihn zukamen, zeigte er durch das hinter ihm offen stehende Rolltor in die Halle. Die Polizeibeamten forderten ihn auf, sie ins Innere zu begleiten. Für den Bruchteil einer Sekunde blickte der Mann sie panisch an, dann schüttelte er vehement den Kopf. Ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, beugte er sich vor und übergab sich ein weiteres
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