Hackenholt - 02 - Das letzte Laecheln
Mal. Mittlerweile war auch die zweite Streifenwagenbesatzung eingetroffen, und obwohl sie schnell handeln mussten, versuchte die nun anwesende Polizistin behutsam, Einzelheiten aus dem Mann herauszubekommen. Doch der stieß stotternd nur immer wieder hervor, dass er unmöglich nochmals dort hineingehen könne. Nach einer Weile geduldigen Zuredens nannte er ihr immerhin seinen Namen: Maximilian Gübinger, Juniorchef der Fleischfirma. Als er um Viertel nach fünf mit der Arbeit beginnen wollte, habe er einen Toten in der Kühlhalle entdeckt. Unter einem neuerlichen Würgeanfall bedeutete er den Polizisten, dem Lichtschein zu folgen. Dann musste er sich wieder übergeben, obwohl er mittlerweile nur noch bittere Galle erbrach.
Die Beamten teilten sich auf. Zwei blieben bei Maximilian Gübinger, die anderen beiden schlichen mit gezogener Waffe durch die Lagerhalle zum Kühlraum. Bereits von der Türschwelle aus konnten sie den Grund für das Entsetzen des Juniorchefs erkennen.
Entlang der gesamten Längsseite des Raumes waren Deckenschienen angebracht, an denen ordentlich aufgereiht eine Schweinehälfte neben der anderen hing. Am entgegengesetzten Ende baumelte jedoch eine menschliche Gestalt von einem der Haken herab. An seinen zusammengebundenen Füßen war der Mann verkehrt herum aufgehängt worden. Die Hände schwebten nur wenige Zentimeter über dem Fußboden. Ein leichter Luftzug drehte den Körper langsam um seine eigene Achse. Quer über den Hals des Toten klaffte eine tiefe Schnittwunde, die den Kopf in einem grotesken Winkel herunterhängen ließ. Der weit geöffnete Mund schien noch immer einen letzten stummen Schrei auszustoßen.
Im Raum herrschte absolute Stille, nur das Keuchen des jüngeren Beamten war zu vernehmen. Dann drehte er sich überstürzt um und stolperte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Hinaus an die frische Luft, weg von dem schauerlichen Anblick. Obwohl er draußen mehrfach versuchte, tief durchzuatmen, konnte er den Brechreiz nicht unterdrücken. Auch sein Kollege, der eine Minute später ins Freie trat, war merklich bleicher um die Nase.
Unsanft wurde Hackenholt vom Klingeln seines Handys geweckt. Er sah auf die Uhr. Fünf Minuten nach sechs.
»Du musst sofort kommen«, hörte er Christine Mur wie durch einen Nebel hindurch sagen. Die Telefonverbindung war schlecht. Immer wieder knackte es in der Leitung. Es klang, als riefe sie ihn von Grönland aus an. »Bei Gübinger wurde ein Toter gefunden.«
Ungeduscht und unrasiert, aber hellwach schlüpfte Hackenholt in seine Kleider und befand sich binnen zwei Minuten auf dem Weg zum Hafen.
Mur schraubte gerade den Deckel von ihrer Thermoskanne ab, als er an der Absperrung vorbei auf das Gelände fuhr. Schnell stellte sie die Kanne zurück auf den Boden und winkte ihm, ihr zu folgen.
Erst unmittelbar vor der Tür des Kühlhauses drehte sie ihm ihr Gesicht zu. »Es ist ein grauenhafter Anblick.« Sie wirkte noch ernster als sonst.
Hackenholt stellten sich die Nackenhaare auf. Forschend sah er ihr in die Augen. »Wer ist der Tote?«
Ohne zu antworten, trat Mur von der offenen Tür weg und gab die Sicht auf das Innere des Kühlraumes frei. Hackenholts Blick glitt von ihrem Gesicht in den hell erleuchteten Raum, streifte die Schweinehälften und blieb schließlich an der dahinter kaum verborgenen Gestalt hängen. Er erkannte Ludwig Kork sofort.
Rasende Wut ergriff Hackenholt. Was hatte dieser dumme Journalist nur getan? Hatte er auf eigene Faust weitergeforscht? Warum hatte er der Polizei nur einen Bruchteil dessen erzählt, was er wusste? Hätte er den Beamten vertraut, anstatt sie mit vagen Angaben abzuspeisen, dann wäre es mit Sicherheit nie so weit gekommen. Hackenholt wandte sich ab. Mehr wollte er für den Moment nicht sehen.
Genauso schnell, wie die Wut ihn erfasst hatte, ebbte sie auch wieder ab. Einen Moment lang nagten Zweifel an ihm, ob er nicht mehr hätte tun können. Resigniert rieb er sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Mur ungewohnt sanft, Hackenholts Geste missdeutend. Unbemerkt war sie ihm gefolgt und drückte ihm nun ihren Kaffeebecher in die Hand.
»Es ist nur …«, begann er zögernd.
»Fang gar nicht erst mit solchen Gedanken an«, unterbrach sie ihn barsch. »Er hätte dir all das Material, das er während seiner Recherchen gesammelt haben muss, übergeben und so zur Aufklärung des Mordes beitragen können. Aber er hat es vorgezogen, selbst herumzuschnüffeln,
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