Hackenholt 06 - Reichskleinodien
Verantwortlicher die neu ausgewählten Transportfirmen nicht überprüft. Außerdem gibt es Zeugenaussagen, die belegen, dass Sie Unterlagen offen auf Ihrem Schreibtisch herumliegen ließen, die Verschlusssache waren. Aber wie gesagt, ich will Sie nicht davon abhalten, sich zu beschweren.«
Als Antwort wurde der Hörer am anderen Ende der Leitung krachend aufgelegt.
Auch Hackenholts zweiter Anlauf, das Büro zu verlassen, scheiterte, denn sein Telefon klingelte erneut. Wünnenberg verdrehte die Augen.
»Kannst du es nicht einfach läuten lassen?«
Nach einem Blick aufs Display ging Hackenholt dann aber doch ran, denn es war eine Münchner Nummer.
»Hast du was zum Schreiben?«, fragte Theo Winter, bevor er eine lange Telefonnummer mit italienischer Länderkennung diktierte. »Der Chef der Questura von Caltanissetta heißt Dottor Paolo Grassia. Ich habe soeben mit ihm telefoniert, er erwartet deinen Anruf. Melde dich bitte umgehend bei ihm, denn in einer halben Stunde ist er laufend in Konferenzen.«
»Kann er Deutsch?«
»Nein, aber er spricht sehr gut Englisch.«
»Ich werde mein Möglichstes geben.« Hackenholt hielt kurz inne. »Theo, da ist noch etwas: Wir müssen möglicherweise eine Stellungnahme wegen der Übergabe des Reichsapfels an die Österreicher schreiben. Dr. Drosthoff hat gerade angerufen und verkündet, dass er sich beschweren wird.«
»Das soll er tun.« Mit einem Mal klang Winter richtiggehend gut gelaunt. »Er wird schon sehen, was dabei herauskommt.«
Nachdem sich der Kollege vom LKA verabschiedet hatte, wählte Hackenholt sofort die Nummer des Questore. Dottor Grassia hatte eine sehr tiefe, volle Stimme. Sicher war an ihm ein ausgezeichneter Sänger verloren gegangen. Was Hackenholt jedoch noch viel mehr beeindruckte, war die freundliche Gelassenheit, mit welcher der Italiener seinem Anliegen begegnete. Er versprach, alle verfügbaren Informationen über Luigi Di Natale und Santino Di Canio anzufordern und nach Deutschland zu senden. Darüber hinaus wollte er mit dem zuständigen Kollegen sprechen und dafür sorgen, dass dieser ein paar Beamte zur Überwachung von Di Canios Wohnung abstellte.
Eine halbe Stunde später als vereinbart trafen Hackenholt und Wünnenberg schließlich in der Frauenanstalt ein, in der auch die U-Haft für Frauen untergebracht war. Nach dem üblichen Prozedere an der Pforte warteten die Beamten in einem der Besucherräume auf die Gefangene, die kurze Zeit später von einer Vollzugsbeamtin hereingeführt wurde.
Giulietta Veccio wirkte blass und übernächtigt.
»Stimmt es, dass mein Bruder erschossen wurde?«, fragte sie, noch bevor sie sich setzte.
Hackenholt nickte.
»Dann war es die alte Hexe!«, unternahm sie einen lahmen Versuch, Sabine Förster zu belasten. »Sie hat sich an mir gerächt und mir meinen Bruder genommen, weil mir ihr Mann ständig hinterhergelaufen ist.«
»Ach, Blödsinn! Frau Veccio, das Spiel ist aus. Frau Förster ist ein Opfer Ihrer Intrigen, und das werden wir vor Gericht auch nachweisen. Ich hatte wirklich gehofft, der Tod Ihres Bruders hätte Sie zur Vernunft gebracht. Das ist doch Wahnsinn, was passiert ist. Wir wissen inzwischen, wem der dunkle BMW gehört hat, der bei dem Überfall auf Felix Kurz verwendet wurde. Genauso wie wir wissen, von wem die anderen Fingerabdrücke im Transporter und an der Leiche stammen. Sie haben sich ja so dilettantisch verhalten und nicht einmal Handschuhe angezogen.«
Giulietta Veccio wandte den Blick ab.
Hackenholt wechselte die Taktik. »Ihr Bruder und Domenico Bonucci wurden unmittelbar nach dem Verlassen der Pizzeria Ihrer Eltern mit mehreren Schüssen niedergestreckt. Sie hatten keine Chance. Es wurden fünfzehn Patronenhülsen gefunden. Das heißt, der Täter hat sein ganzes Magazin leergeschossen.«
Tränen liefen über das Gesicht der jungen Frau.
»Und das, nachdem wir rund zwölf Stunden zuvor Luigi Di Natale auf dem Rückweg nach Italien verhaftet und ihm den Reichsapfel abgenommen haben«, machte Hackenholt weiter. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir Santino Di Canio festsetzen. Sie sehen also, wir sind nicht ganz so blöd, wie Sie uns bislang eingeschätzt haben. Falls Sie hier je wieder rauskommen wollen, ist es an der Zeit, ein Geständnis abzulegen und Reue zu zeigen.«
In Ermangelung eines Taschentuchs fuhr sich Giulietta Veccio mit dem Handrücken über die Nase und zog den Rotz geräuschvoll hoch.
»Wie ist es dazu gekommen, dass die Firma Dippold-Transporte sich
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