Hackenholt 06 - Reichskleinodien
konnte, er habe höchstwahrscheinlich das Vergnügen mit Saskia Baumann gehabt, die trotz ihres hochgradig fränkischen Slangs hervorragende Ermittlungsarbeit leistete und vor allem den Rest der Menschheit sehr wohl verstand, trat ein Beamter durch die offene Tür.
»Ich habe die Stelle in dem Video gefunden. Sie ist auf alle Fälle sehenswert.«
»Gut, Jonas, wir kommen. Sag bitte auch den anderen Bescheid.«
Fünf Minuten später hatten sich mehrere Mitarbeiter in dem kleinen Besprechungsraum versammelt, in dem ein Beamer und eine Leinwand standen. Eine junge Frau startete auf Zögners Zeichen hin den Mitschnitt.
Die Überwachungskamera musste rechts auf der Höhe des Displays des Geldautomaten in dem Gerät angebracht sein, denn die Schwarz-Weiß-Aufzeichnung begann nicht etwa damit, dass ein Unbekannter den Schaltervorraum der Postfiliale betrat und sich dem Geldausgabegerät näherte. Auf der Aufnahme war bloß zu sehen, wie von rechts plötzlich jemand genau vor dem Automaten stand. Eine zweite Person folgte im Hintergrund. Die erste stand unmittelbar vor der versteckten Videokamera: Ihre Haltung war leicht vornübergebeugt, während sie die Anzeige auf dem Display las und die Geheimzahl eingab. Man sah einen Ausschnitt, der von der Stirn bis zur Mitte des Oberkörpers reichte. Das Gesicht war von schräg unten voll im Bild. Wäre es nicht mit einer Sonnenbrille und einem Tuch vermummt gewesen, hätte die Polizei zweifellos ein klar zu identifizierendes Foto erhalten. So konnte man lediglich erkennen, dass es sich um eine Frau handelte; die Gesichtszüge waren jedoch unkenntlich.
Die zweite Person musste nach Hackenholts Überzeugung ein Mann sein. Er wartete seitlich versetzt hinter der Frau und hatte sich die Kapuze seines Sweatshirts so tief über den Kopf gezogen, dass sein Gesicht im Schatten lag. Er blickte kein einziges Mal auf, hielt aber einen weißen Streifen Papier in der Hand – es wirkte, als lese er etwas davon ab. Die Geheimzahl? Das Einzige, was man von dem Kerl deutlich erkennen konnte, waren seine Hände. Bedauerlicherweise gab es keine Tonaufzeichnung. Dann hätten sich vielleicht über die Sprache Rückschlüsse auf die Nationalität des Pärchens ziehen lassen.
Ein enttäuschtes Raunen ging durch die Zuschauer, nachdem der Film einmal durchgelaufen war.
»Das dürfte uns bei der Identifizierung der Täter wohl keinen Millimeter weiterbringen«, beschied einer der Beamten.
Hackenholt setzte schon zu einer aufmunternden Erwiderung an, als die junge Kollegin, die den Mitschnitt gestartet hatte, ihm widersprach. »Wir wissen jetzt immerhin, dass wir es mit zwei Personen zu tun haben und es sich um einen Mann und eine Frau handelt.«
»Mit mindestens zwei. Es ist nicht auszuschließen, dass noch weitere an der Tat beteiligt waren, aber nicht mit zum Geldautomaten gekommen sind«, verbesserte Zögner sie. »Außerdem achtet man beim ersten Mal nur auf das Geschehen insgesamt. Ich bin mir sicher, wenn wir uns den Film ein paarmal ansehen, werden wir das eine oder andere Detail entdecken.«
Der Mitschnitt wurde zurückgespult und erneut gestartet. Diesmal konzentrierte sich Hackenholt ausschließlich auf den Mann im Hintergrund – und zu seiner Genugtuung erkannte er ein kleines Logo auf dessen Kapuzenshirt.
»Das ist eine Ray-Ban-Sonnenbrille«, rief die junge Beamtin jäh. »Man kann den Schriftzug oben im rechten Brillenglas sehen.«
»Ich glaube, das Modell heißt Jackie Ohh oder so ähnlich«, murmelte Kerstin, die Hackenholt die beiden Kaffeetassen in die Hand gedrückt hatte. »Es ist jedenfalls das größere der beiden Modelle. Und außerdem ist das ein Schal von Benetton – da bin ich mir wegen der Hibiskusblüte ganz sicher. Wenn wir ein paar Standbilder aus der Aufzeichnung ausdrucken, kümmere ich mich um eine Bestätigung durch die Hersteller.«
»Tu das, Kerstin. Wir brauchen sowieso ein gutes Foto, mit dem wir an die Öffentlichkeit gehen können.« Zögner sah Hackenholt fragend an.
Der Hauptkommissar nickte. »Die beiden sind hochwertig gekleidet. Der Hoodie, den der Mann anhat, ist von Esprit. Osteuropäische Täter tragen im Allgemeinen eher No-Name-Produkte.«
»Musst du nicht langsam los, Walter?«, fragte Kerstin. »Dr. Riediger wird es nicht gefallen, wenn du ihn warten lässt.«
Hastig sah Zögner auf die Uhr. »Du hast recht. Ich bin schon spät dran.« Er wandte sich an Hackenholt. »Kommst du mit? Die Obduktion ist in Würzburg. Wir könnten uns
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