Hackenholt 06 - Reichskleinodien
wie ihm der Schweiß ausbrach, als er sich bückte, um in den Wagen zu sehen.
Mur hatte nicht übertrieben. Die Seite mit dem Einschussloch war vollkommen intakt, auf der anderen Seite waren dem Toten beim Austritt des Projektils jedoch große Teile des Gesichts weggerissen worden. »Großkalibrige Waffe?« Seine Stimme klang rau.
»Wohl eher ein Dum-Dum-Geschoss – wir haben es aber noch nicht gefunden. Der Schuss wurde garantiert aus nächster Nähe abgegeben.« Mur führte Hackenholt um den Wagen herum. »Schau!« Ihr behandschuhter Zeigefinger deutete auf ein Loch in der blutverschmierten Scheibe des Fahrerfensters. »Wir müssen die Umgebung mit einem Metalldetektor absuchen.«
»Sehe ich es richtig, dass das ein normaler Audi A6 ist und kein gepanzerter?«
Mur nickte.
»Gehören Werttransportfahrzeuge nicht immer mindestens zur B4-Schutzklasse?«
»Damit kenne ich mich nicht aus.«
»Was ist mit dem zweiten Mann?«
»Der befand sich dort drüben.« Mur deutete zu einer Stelle ein paar Schritte von dem Wagen entfernt.
Es war unschwer zu erkennen, dass hier ein Rettungsteam gearbeitet hatte: Nicht nur der Waldboden war aufgewühlt, vielmehr lagen auch diverse leere Verpackungen von verschiedenen medizinischen Hilfsmitteln herum. Außerdem waren die herabgefallenen Tannennadeln blutgetränkt.
»Angeblich lag er mit dem Gesicht zum Boden, als die Spaziergängerin ihn fand. Sie hat den Notruf gewählt und der Einsatzzentrale völlig hysterisch mitgeteilt, dass sie zwei Tote gefunden hat. Der Kollege hat daraufhin Streife und Rettungsdienst alarmiert.«
»Was ist aus der Frau geworden?«
»Sie wurde mit einem Schock ins Klinikum gebracht. Den bekommt wohl jeder normale Mensch, wenn er so etwas sieht.« Sie deutete auf den Wagen und streifte Hackenholt mit einem Seitenblick.
»Keine Sorge, mir geht es gut«, beantwortete Hackenholt ihre unausgesprochene Frage. »Wie schwer ist das zweite Opfer verletzt?«
»Der Mann soll mehrere Treffer abbekommen haben, unter anderem in den Kopf. Mach dir also besser keine allzu großen Hoffnungen, dass er dir bei den Ermittlungen helfen kann.«
Noch während er sich aus dem Schutzanzug schälte, notierte sich Hackenholt in Gedanken eine Liste mit Dingen, die umgehend erledigt werden mussten. Wichtig war jetzt, möglichst schnell die Fahndung nach den Tätern auf den Weg zu bringen. Bislang wussten sie jedoch rein gar nichts: Suchten sie nach einer Person oder waren es mehrere gewesen? Aus dem Bauch heraus tippte Hackenholt auf Letzteres, auch wenn ihm der Ablauf des Geschehens alles andere als klar war.
Sascha Förster war höchstwahrscheinlich vom Beifahrersitz aus erschossen worden, Thorsten Graef hatte neben dem Wagen gelegen. Warum war Förster überhaupt in den Wald gefahren? Hatte Graef ihn bedroht? Aber wer hatte dann auf Graef geschossen? Und wie war der Täter geflüchtet? Mit einem Auto? Im Augenblick gab es eine gefühlte Million Fragen und keine einzige Antwort.
Hackenholt entschied, dass Baumann und Stellfeldt mit ein paar Beamten die Kleingartensiedlung abklappern und fragen sollten, ob jemand bemerkt hatte, wann der Audi den Weg entlanggekommen war. Möglicherweise hatte ein Zeuge sogar die Schüsse gehört und den Täter flüchten sehen. Anschließend sollten sich die zwei Ermittler ins Klinikum begeben. Sie mussten unbedingt herausfinden, wie es um Thorsten Graef stand, und mit der Zeugin sprechen, die die beiden Männer gefunden hatte. Mit viel Glück war ihr bei ihrem Spaziergang jemand begegnet, bevor sie auf die Opfer stieß.
Wünnenberg und er würden zunächst zur Firma Dippold-Transporte fahren und sich einen Eindruck von dem Unternehmen im Allgemeinen und den Herren Förster und Graef im Besonderen verschaffen. Auf dem Rückweg in die Dienststelle würden sie einen Abstecher zum Staatsmuseum machen und sich dort selbst noch einmal bestätigen lassen, dass die Fahrer die Insignie am Morgen tatsächlich ordnungsgemäß abgeholt hatten. Vielleicht war jemandem dabei etwas Besonderes aufgefallen.
Danach kam Hackenholt nicht mehr umhin, in München anzurufen. Doch dann war es voraussichtlich nach halb fünf, sodass die Sachbearbeiter beim LKA mit Sicherheit nach Hause gegangen waren. Mit etwas Glück trafen die Kollegen damit erst im Lauf des folgenden Vormittags in Nürnberg ein, um die Ermittlungen an sich zu reißen und die hiesigen Beamten wie dumme Schuljungen die Laufarbeit erledigen zu lassen.
Hackenholt wurde aus seinen Gedanken
Weitere Kostenlose Bücher