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Hades

Hades

Titel: Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Adornetto
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wieder und wieder: Mord, Vergewaltigung, Überfälle, Ehebruch, Diebstahl, Betrug. Die Liste schien endlos.
    Ich hatte das Böse bislang immer auf eher philosophische Weise betrachtet. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass es mich körperlich umgab, mit Händen zu greifen nah und real. Ohne anzuhalten, lief ich den Weg zurück, den ich gekommen war. Ab und zu hatte ich dabei das Gefühl, dass mich etwas streifte oder nach meinem Kleid griff, aber ich schüttelte es ab und rannte weiter. Ich hielt erst an, als meine Lunge sich anfühlte, als würde sie beim nächsten Schritt kollabieren.
    Ich wusste, dass ich mich verlaufen hatte, denn der Tunnel lag längst hinter mir. Stattdessen befand ich mich auf einer großen freien Fläche. Vor mir lag eine kraterähnliche Öffnung, die von feuriger Glut umgeben war. Ich konnte nicht sehen, was im Inneren vor sich ging, hörte aber fürchterliche Schreie und Rufe. Noch nie zuvor war ich an einem ähnlichen Ort gewesen. Warum kam er mir trotzdem so bekannt vor?
    Der See aus Feuer erwartet meine Herzensdame.
    Sollte dies der Ort aus der kryptischen Nachricht sein, die ich vor Monaten in meinem Spind in der Schule gefunden hatte?
    Ich wusste, ich sollte lieber nicht näher herangehen, sondern umdrehen und zusehen, dass ich zum Hotel Ambrosia zurückfand, auch wenn es mein Gefängnis war. Was immer da unten lauerte, war nichts, auf das ich vorbereitet war. Bisher war Hades eine surreale Welt aus unterirdischen Tunneln, düsteren Nachtclubs und einem leeren Hotel gewesen. Aber als ich jetzt zögerlich ein paar Schritte nach vorn machte, wusste ich, dass dies hier etwas anderes war.
    Ich hörte das unbeschreibliche Jammergeschrei, noch bevor ich etwas sehen konnte. Bis zu diesem Tag hatte ich nichts auf die mittelalterlichen Schilderungen der Hölle von verzerrten Leibern und Folterinstrumenten gegeben, hatte sie für ein Mittel gehalten, das ungebildete Volk einzuschüchtern und zu kontrollieren. Aber mit einem Schlag wusste ich ganz genau, dass alle Geschichten stimmten.
    Es war nicht leicht, durch das rubinfarbene Feuer, das in dem Loch brannte, zu erkennen, was dort unten vor sich ging, aber ich konnte eindeutig zwei Gruppen ausmachen: Die Gefolterten und ihre Folterknechte. Die Folterknechte trugen einen Schultergurt aus Leder, Stiefel, manche auch eine Kapuze wie die Henker. Die Gefolterten waren entweder nackt oder in Lumpen gehüllt. An den Wänden hingen verschiedene Metallgegenstände, die dazu dienten, Schmerz zuzufügen. Mein Blick wanderte über Sägen, über Brandeisen und rostige Zangen. Auf dem Boden standen Fässer mit kochendem Öl, ein Gewicht zum Ertränken und heiße Kohle. Die Gepeinigten waren an Pfähle gekettet, hingen an Sparren oder waren in grausame Folterinstrumente geschnallt. Sie krümmten sich und schrien, während die Folterknechte unbarmherzig ihrem teuflischen Werk nachgingen. Ich beobachtete, wie sie einen nackten Mann über den Boden schleiften, in einen Metallsarg zwängten und die Klappe schlossen. Dann schoben sie den Sarg in einen Ofen. Er erhitzte sich langsam, glühte erst orange, dann rot. Aus dem Sarg erklangen verzweifelte Schreie, was die Dämonen zu amüsieren schien. Ein anderer Mann war mit Seilen an einen Pfahl gefesselt, den Blick flehend nach oben gerichtet. Ich erkannte erst nach einer Weile, dass die gelbliche Hülle, die wie Wäsche auf der Leine von seinem Oberschenkel herabflatterte, seine Haut war. Er wurde bei lebendigem Leibe gehäutet.
    Wohin ich auch schaute: Blut, geschundenes Fleisch und faulende Wunden. Schon nach wenigen Sekunden drehte sich mir der Magen um. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, warf mich auf den trockenen, rissigen Boden und hielt mir die Ohren zu, so unerträglich waren die Schreie und der Gestank. Ich krabbelte auf Händen und Knien davon, denn ich glaubte umzufallen, wenn ich aufrecht gehen würde.
    Ich war gerade erst ein paar Meter durch den Staub gekrochen, als mir plötzlich ein Stiefel den Weg blockierte. Als ich aufschaute, sah ich, dass ich von drei Folterknechten mit Peitschen eingekreist war. Offensichtlich war mein Kommen nicht unbemerkt geblieben. An ihren mitleidslosen Gesichtern war nichts Menschliches. Ihre Ketten rasselten, und als ich sie genauer betrachtete, sah ich, dass sie nicht älter waren als Schuljungen. Es war paradox, welche Grausamkeit ihre schönen Gesichter widerspiegelten.
    «Sieht aus, als hätten wir Besuch», sagte einer der drei und stieß mich mit dem Absatz

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