Hades
bitte sollte ich das tun?», fragte er.
«Weil es Menschen sind», sagte ich schwach. Wie sehr es mich doch immer erschöpfte, mit Jake zu reden. Er gab mir das Gefühl, im Kreis zu laufen, ohne je irgendwo anzukommen.
«Nein, es sind die Seelen von Menschen, die in ihrem Leben sehr böse waren», erklärte Jake geduldig.
«Aber so etwas hat niemand verdient – egal welches Verbrechen sie begangen haben.»
«Ach tatsächlich?» Jake überkreuzte die Arme. «Dann hast du keine Ahnung, wozu die Menschheit imstande ist. Und außerdem hatten sie alle die Chance, Buße zu tun, und haben sie nicht genutzt. So funktioniert das System nun mal.»
«Dein System stinkt. Es macht aus guten Menschen Monster.»
«Und das», sagte Jake und hob bedeutungsvoll den Finger, «ist der Unterschied zwischen dir und mir. Du beharrst auf der Vorstellung, dass der Mensch von Natur aus gut ist, auch wenn es noch so viele Gegenbeweise gibt. Menschen – bäh!» Jake schüttelte sich. «Was soll an ihnen gut sein? Sie essen, sie vermehren sich, sie schlafen, sie kämpfen – sie sind sehr einfache Organismen. Sieh doch, was Billionen von ihnen dem Planeten angetan haben. Mit ihrer Existenz zerstören sie die Erde. Und dafür machst du uns verantwortlich! Wenn die Menschen Gottes Meisterwerk sind, sollte er seinen Plan noch einmal überdenken. Guck dir zum Beispiel Tucker an. Was glaubst du, warum ich ihn in meiner Nähe habe? Nur um ständig an Gottes Fehlbarkeit erinnert zu werden.» Tuckers Gesicht wurde glühend rot, aber Jake schien es nicht zu merken.
«In den Menschen steckt so viel mehr», erwiderte ich, nicht zuletzt, um Tuckers Demütigung zu kaschieren. «Sie können träumen und hoffen und lieben. Zählt das denn gar nichts?»
«Das macht es nur noch schlimmer, davon kriegen sie nur Wahnvorstellungen. Du kannst dir dein Mitgefühl schenken, Bethany, hier bringt es dich nicht weiter.»
«Bevor ich wie du werde, sterbe ich lieber», sagte ich.
«Ich fürchte, das ist unmöglich», sagte Jake fröhlich. «Man kann hier nicht sterben. Nur die Erde kennt diese lächerliche Vorstellung von Tod und Leben. Noch so eine merkwürdige Marotte deines Vaters.»
Jake darauf eine passende Antwort zu geben, blieb mir erspart, da wir vor der Tür Stimmen hörten. Gleich darauf glitt, mit der Souveränität eines Promis, eine Frau hinein.
«Das ist eigentlich mein Zimmer», murmelte ich. «Warum denkt eigentlich jeder, dass er hier einfach hereinplatzen kann und …»
Ich stoppte mitten im Satz, als ich die Frau erkannte. Es war die tätowierte Barkeeperin aus dem Pride . Den vernichtenden Blick, den sie mir zugeworfen hatte, hatte ich nicht vergessen. Jetzt hingegen beachtete sie mich kaum, als wollte sie zeigen, dass ich es nicht wert war, ihre Zeit zu verschwenden. An den zusammengepressten Lippen und der Art, wie sie sich an Tucker vorbeidrängte, sah ich, dass sie wütend war.
«Hier versteckst du dich also», beschimpfte sie Jake.
«Ich habe mich schon gefragt, wann du endlich auftauchst», sagte Jake gelassen. «Wenn du so weitermachst, hält dich bald jeder für eine Stalkerin.»
«So ein Pech, dass ein schlechter Ruf hier überhaupt nichts ausmacht», erwiderte sie.
Die Art und Weise, wie Jake mit ihr sprach, hatte etwas Spottendes, was sie aber nur zu amüsieren schien. «Beth, das ist Asia, meine sehr persönliche … persönliche Assistentin. Wenn sie mal für einen Moment nicht genau weiß, wo ich stecke, wird sie nervös.»
Ich setzte mich auf, um sie besser sehen zu können. Asia war groß und gut aussehend, wie eine Amazone. Sie war provokativ gekleidet, mit einem Neckholder-Bustier und einem Minirock aus Leder. Ihr kohlrabenschwarzes Haar, das so dick war wie Wolle, umrahmte ihre katzenhaften Züge. Sie hatte übertrieben volle, klebrig geschminkte Lippen, die stets leicht geöffnet waren. Ihre kaffeefarbene Haut hatte einen leichten Glanz, so als ob sie sich gerade eingeölt hätte. Ihre Haltung – gerade, die Schultern nach hinten gestreckt – hatte etwas Boxerartiges. Ihre Schuhe waren die reinsten Kunstwerke: hellbraune Stiefeletten zum Schnüren, die vorne offen waren, mit Absätzen wie Eispickel.
«Jimmy Choo», sagte sie, als könnte sie meine Gedanken lesen. «Göttlich, oder? Jake lässt mir jedes Jahr neue machen.» In ihren Augen stand ein brennender Blick, der mir seltsam vertraut war. Ich hatte ihn in der Schule gesehen, wenn ein Mädchen einem anderen eine klare Warnung aussprechen wollte:
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