Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
das Wort Anwandlung wähle. Solche sind es oft, die uns Hinweise auf tief in uns arbeitende Vorgänge geben. Dieses Grübeln mag manchem lästig sein, ich pflege mich eben solchen Anwandlungen zu stellen.
Das Verstörende daran war, daß sich zu Anfang meine Überlegungen nur auf jenen Mexikaner, der offenbar ein Beduine war, konzentriert hatten, zuletzt aber fast ausschließlich auf das Mädchen Alma. Beileibe war ich nicht der einzige, der sich mit ihr beschäftigte; wie hatte Pfäffle von ihr geschwärmt, wie hatte Hayes, der kühle Rechner, sich zu ihr hingezogen gefühlt, so sehr, daß er darüber in Streit mit dem vermeintlichen Mexikaner geraten war. Schon drehten sich meine Gedanken abermals im Kreise – wie konnte vor meinem inneren Auge das Bild einer Person entstehen, die ich noch niemals gesehen hatte, von der mir nicht mehr als eine dürre Beschreibung des Wirtes bekannt war? Was interessierte mich jene Person über die wohl verständliche Absicht hinaus, sie vor den Ränken dieses Schuftes Milton Hayes zu bewahren? Dachte ich, fühlte ich, kaprizierte ich mich wie er auf dieses Mädchen, nur weil er mir auf eine gewisse Weise ähnelte, ja ähnelten wir uns auch in unseren Gefühlen, ähnelte er mir oder ich ihm?
Aber das war ja Unsinn. Die Ähnlichkeit war zwar nicht zu übersehen, aber eben doch ein Zufall, wie er sich vielfach unter den unzähligen Menschen auf dem Planeten ereignete. Mindestens vom Charakter her hatte sich doch wohl bereits erwiesen, wie verschieden wir waren, trotz all der physiognomischen Übereinstimmungen und sogar unserer beider sächsischen Herkunft. Er war ein in der Heimat Gestrauchelter, aus ihr Geflüchteter, der seinen Namen gewechselt hatte und zum Verbrecher geworden war; ich hingegen war – nun, ich war zu Kara Ben Nemsi im Orient und
auf dem Balkan geworden und zu Old Shatterhand im Wilden Westen. Konnte es größere, deutlichere Unterschiede geben? Aber alle meine Gegenwehr half mir nichts. Sah ich ins Feuer, sah ich in die katzenhaften Augen, welche schon Pfäffle bewundert hatte; blickte ich hinauf zu den Sternen, leuchteten sie in ihrer Gesamtheit so hell, wie ich mir wohl das Haar des Fräuleins vorzustellen hatte. Nun drohte die allerhöchste Gefahr, und das schöne Kind wußte es womöglich nicht einmal. Der einzige Schutz, den es hatte, der einzige, der im Moment an ihrer Seite war – – –
Noch heute denke ich, daß ich damals gut daran tat, derart tief in mich hineinzuhören. Aus dem Abstand der Zeit, die seitdem vergangen ist, erkläre ich es mir so, daß ich längst ahnte, wer jener Beduine nur sein konnte: Halef, nur er! Die Vorstellung, daß er zu mir herüber nach Amerika gereist kam, hätte mich kaum in Unruhe versetzt. Doch so bizarr sein Erscheinen hierzulande wirken mußte, so eigentümlich konnte nur der Anlaß seiner Reise sein. Obwohl ihn jede meiner Erzählungen zum Beispiel über Winnetou brennend interessierte, war es ihm bisher nie eingefallen, seine angestammte Umgebung, wie weit man diesen Begriff auch fassen mochte, zu verlassen oder gar übers Meer zu reisen, er, der Wüstenmensch!
Also saß und wachte ich auch in dieser Nacht. Ich sann, und selbst als ich ein weniges schlief, arbeitete mein Gehirn. Wenn Halef es war, dem ich in Kürze begegnete, so konnte sich sein Hiersein durch etwas Unerfreuliches in seiner Heimat erklären. Einzelheiten konnte ich weder wissen noch erahnen, ich halte nichts von Hellseherei. Aber auf meine Sinne konnte ich mich verlassen, damals wie heute. Sie warnten mich bereits, blieben mir aber die Gründe vorerst schuldig.
Ob der Erfolglosigkeit meiner Gedankenfischerei mißmutig, saß ich anderntags schweigend auf meinem Pferd. Hirtreiter folgte mir, Everts hinter sich im Sattel, und man mußte nicht abgezehrt und erschöpft sein wie dieser, um das stundenlange, kaum von Pausen unterbrochene Reiten als anstrengend zu empfinden. Zwar
sagte er kein Wort, genau wie Winnetou es ihm aufgetragen hatte, aber sein andauerndes Stöhnen und Ächzen vergällte mir zusätzlich den Morgen.
Wie aber staunte ich, als mit einem Male Winnetou, die üblichen Pferdelängen voraus, haltmachte und seine Silberbüchse hervorzog. Er tat dies nicht, um sie zum Schusse bereitzuhalten, vielmehr senkte er sie wie eine Lanze oder einen Spieß in das wadenhoch stehende Gras hinab. Im nächsten Moment hob er das berühmte Gewehr wieder an, und nun baumelte an ihrem Laufe eine Art Stoffrolle, welche in der Farbe zarter
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