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Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Titel: Hadschi Halef Omar im Wilden Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Hohenthal
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Rosenblätter leuchtete. Ich wies Hirtreiter an zurückzubleiben und legte die wenigen Meter zu Winnetou allein zurück. Von Pferd zu Pferd warf er mir den aufgefundenen Gegenstand zu, welcher ihm offenbar rätselhaft war. Dieser war in der Tat ein so außergewöhnlicher, daß selbst mir ein verwundertes »Zounds« entfuhr.
    Schon von weitem hatte ich erkannt, worum es sich handelte; unablässig hatte ich auf meinen Reisen durch den Orient ein solches Utensil zu sehen bekommen. Ich legte mir darum das gute Stück über dem Sattelknauf zurecht und entrollte es sodann. Ein typischer Gebetsteppich entfaltete sich, der wertvollste Besitz, ja das Heiligtum eines jeden Moslems. Dieser hier, Seggadeh oder auch Musallah genannt, maß fünf bis sechs Fuß in der Länge und gut vier in der Breite. Er bestand aus bester, sorgfältig gefärbter Wolle und mußte seinen Besitzer eine Menge Piaster gekostet haben. Wie ich das Gewirk drehte und wendete, wurde ein unglaublich feingesticktes Muster sichtbar. Dieses mochte für die Augen eines Nichtmoslems nach beliebiger Manier entstanden sein, einem Jünger Mohammeds hingegen mußte sein Anblick die höchste Wonne verschaffen. Im Zentrum jenes Teppichs nämlich war die Nachbildung eines Mihrāb, einer Gebetsnische, wie man sie in jeder Moschee vorfand. Die Darstellung ihrer Umrisse dient mitnichten künstlerischer Gestaltung; vielmehr gibt sie die Gebetsrichtung vor, weil bekanntlich ein jeder betende Moslem sein Haupt gen Osten, nach Mekka, richtet. Sowohl auf der Vorder- als
auch auf der Rückseite war der Teppich blitzsauber, was wohl auf zweierlei zurückzuführen war. Zum einen wird ein sogenannter Rechtgläubiger seinen Gebetsteppich tunlichst nicht im Freien benutzen, gilt ihm doch der Erdboden als unrein oder wenigstens verunreinigend. Zum anderen konnte dieser Teppich erst seit sehr kurzer Zeit hier draußen liegen, denn weder Witterung noch irgendwelches Getier hatten darauf Spuren hinterlassen.
    Wieder arbeitete es in mir, noch stärker als die ganze Zeit zuvor: Halef, Halef, Halef!
    Die Überfahrt von Afrika nach den Vereinigten Staaten war letztlich nur eine Frage von Zeit und Geld; über beides verfügte mein kleiner treuer Freund, wenn auch nicht im überreichen Maße. War ihm oder seiner lieblichen Hanneh, war seinem Stamme, den Haddedihn, Ungemach geschehen? Hatten sich die stets bedenklichen Verhältnisse in seiner Heimat in einer Weise zugespitzt, die sich als bedrohlich für seine Existenz und die der ihm anvertrauten Menschen entpuppte?
    Es war mir unmöglich, über diese Möglichkeiten nachzudenken, weil Winnetou ja einen Grund gehabt hatte, nicht gleich von seinem Pferde zu springen und jenen Fund mit den Händen aufzunehmen. Erst jetzt gewahrte ich, daß in einem sträucherbestandenen Einschnitt gelagert worden, sogar Feuer entzündet worden war. Gemeinsam mit Winnetou suchte ich den niedergetretenen Grund nach Spuren ab, doch man bemerkt schon an dem von mir gewählten Wort »niedergetreten«, daß der gesamte Platz eine einzige Spur war. Wenn Halef es gewesen war, der hier vor kurzem gelagert hatte, so entschuldigte sich seine Unvorsichtigkeit, nicht alles sorgsamst verwischt zu haben, mit dem Umstand, daß er eben kein Mann aus dem Westen, sondern aus der gegenteiligen Richtung war.
    Weil wir mit den Hufen unserer Pferde sowie mit unseren Füßen kaum mehr etwas zerstören konnten, winkte ich Hirtreiter heran, der in höchste Aufregung geraten war. Er sprang von seiner Liesl, half Everts abzusteigen, und als er diesen gegen einen Baum
gelehnt hatte, schritt er zu mir heran. Er tat dies unwillkürlich so leise und behutsam, wie man es in der Wildnis am besten tat, was mich freute.
    Zunächst ohne ein einziges Wort zu sprechen, knieten wir an der Stelle, wo zuvor der Gebetsteppich gelegen hatte. Ein Blick von mir bedeutete Hirtreiter, daß er sich den Teppich wohl besehen, aber ihn oder den Fundplatz bis auf weiteres nicht berühren dürfe.
    Wie ich schon in anderen Erzählungen ausgeführt habe, bedarf ein guter Spurenleser vieler Fähigkeiten, wobei die entscheidende ist, nicht zu früh seine Schlüsse zu ziehen, ähnlich einem Kriminalbeamten oder einem Richter. Genau wie sie muß man versuchen, sich ohne Voreingenommenheit einen Überblick zu verschaffen. Tritt man nämlich in eine Spur, mit Absicht oder aus Versehen, oder unternimmt es, an einer aufgefundenen Sache auch nur die kleinste Einzelheit zu verändern, so ist der, ich möchte sagen: natürliche

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