Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
erwachte ich.
Ja, ich erwachte. Weniger die Indianer, die ich als erstes erblickte und die mich mit großen Augen ansahen, begründeten meine Verwunderung. Mit einem Male wußte ich wieder, was geschehen war:
Aus der zirkushaften Umkreisung der Reiter war plötzlich ein einzelner ausgeschert. Unwillkürlich hatte ich mich, genau wie meine Gefährten, zu Boden geworfen, um nicht von ihm zermalmt zu werden. Jener Reiter war aus dem Sattel heraus auf mich gestürzt. Seines riesigen, breiten Messers konnte ich mich durchaus erwehren, wiewohl ich nicht dazu kam, mein eigenes zu zükken. Durch geschicktes Drehen gelang es mir aber, jedem seiner Stiche, die eigentlich Hiebe waren, zu entkommen. Aber da war auf einmal ein Schatten hinter mir gewesen. Ich hatte noch wahrgenommen, daß jemand mit der Breitseite eines Gewehrs auf mein Gesicht zielte. Ducken hatte ich mich wollen, mich zur Seite werfen, indes traf der Kolben meinen Hinterkopf. Hätte er dies nicht mit der Flachseite, sondern mit der Kante getan, mein Schädel wäre zerschmettert worden. So fühlte ich, außer einem bösen Brummen zwischen den Ohren, keinen nennenswerten Schmerz.
Seither konnte nicht viel Zeit vergangen sein, denn zwischen den Beinen der Indianer, die mich umstanden, sowie zwischen ihren Köpfen schimmerte noch Tageslicht. Man hatte dennoch bereits Feuer angebrannt, wie ich bemerkte, doch von Halef, Hirtreiter und Everts und obendrein von Alma sah ich nichts. Falls sie mit mir gefangen worden waren, hatte man sie nach einem anderen Orte verbracht.
Erstmals gewahrte ich auch, daß ich gefesselt war. Ich lag auf dem Rücken im Präriegras, derart an Händen, Füßen, Armen, Beinen und sogar quer über die Brust sowie an den Hüften verschnürt, daß ich mich kaum zu bewegen vermochte. Allenfalls um die eigene Achse hätte ich mich drehen können, und ich war noch kapabel genug, den Kopf zu heben oder zu senken, aber was konnte mir das nützen. Weil mein Blick durch die halbgeöffneten Augenlider so klar und fest war wie stets und der Schein der Fackel, die man über
mich hielt, mich nur wenig blendete, war ich beruhigt: Der Hieb hatte mich zwar betäubt, aber keinen Schaden angerichtet. Alles andere würde sich finden.
Man bemerkte mein Blinzeln, und einer der Indianer sagte:
»Old Shatterhand ist erwacht. Ruft Donnerwolke!«
Eine Handvoll nicht mehr ganz junger Krieger hatte sich über mich gebeugt. Diese Edlen ihres Stammes teilten sich in das hohe Vergnügen, einen so berühmten Westmann wehrlos vor sich liegen zu sehen. Um ihnen ihre Freude nicht unnötig zu vergrößern, unterließ ich jeden Versuch, an meinen Stricken zu rütteln. Wie man weiß, ist die Aufmerksamkeit für einen Gefangenen in der Anfangszeit am größten. Es muß also gelingen, die Aufmerksamkeit seiner Bewacher nach und nach einzuschläfern. Dazu war es noch zu früh. Also schloß ich fürs erste die Augen wieder, um mich zu schonen, und überließ es den Roten, mit ihrem Selbstlob über ihre Fesselungskunst eine recht einseitige Konversation zu bestreiten.
An einem feinen Luftzug bemerkte ich, daß jemand hinzugetreten war. Nun öffnete ich die Augen wieder – würde ich jetzt Donnerwolke, den Häuptling der Schoschonen, kennenlernen?
Wirklich, er war es. Kurz und nur von weitem hatte ich ihn schon einmal gesehen, vor ein paar Tagen, als Anführer desjenigen Indianertrupps, der Halef und Alma in die Enge getrieben hatte. Durch mein Fernrohr war er mir als großer, massiger Mensch aufgefallen. Jetzt, wo ich ihn aus der Nähe, aber aus einer noch viel weniger erfreulichen Perspektive, nämlich am Boden vor ihm liegend, sah, wirkte er noch größer, noch breiter, aber das beeindruckte mich nicht. Seinem Gesicht nach zu schließen, war er älter als ich, aber bedeutend jünger als Ma-ta-weh, Milton Hayes, der sich seit dem Angriff noch nicht wieder gezeigt hatte.
Das Gesicht Donnerwolkes hatte nichts Grausames, wie man es bei einem Kriegshäuptling vielleicht vermuten könnte. Diese Stellung war ja kein Beruf. Man wurde es nicht, weil man sich unbedingt als bester Kämpfer hervorgetan hatte. Die Weisen des
Stammes betrauten einen Krieger nur dann mit ihrer Sicherheit, wenn sie ihn für am schlauesten, gewiegtesten und idealerweise auch am diplomatischsten von allen anderen Männern halten durften. Donnerwolke hieß also nicht unbedingt so, weil er besonders laut und polternd aufgetreten wäre. Vielleicht war er einst im Geschützdonner angreifender weißer Soldaten
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