Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
jäher Schmerzensruf überlagerte das Ausrollen des sonst wirkungslosen Geknalles. Aus der Reihe der Angreifer brach ein Reiter heraus. Erst verlor er seine Waffe, sodann das Gleichgewicht, und rücklings fiel er von seinem Kamel in den Sand, kollerte den Rest des abschüssigen Terrains hinab, blieb in einer Senke liegen und schrie dort, sich den Leib mit beiden Händen haltend, aus Herzenskräften.
Ihrem verwundeten oder vielleicht sterbenden Kameraden beizuspringen, wie ein jeder brave Grenadier es tun würde, fiel der Reiterhorde nicht ein. Der Feind war geworfen, das war die Hauptsache; daß es einen der Eigenen traf, bedeutete weniger als nichts. Aber von nun an fielen nur noch vereinzelt Schüsse, allzu
vorhersehbar war ja der Ausgang des ungleichen Gefechts geworden. Längst war um die Karawane ein Dreiviertelkreis gezogen, der sich immer schneller zum vollen Kreise schloß.
In seinem Radius befanden sich auch Halef und Sir Edward. Augenblicklich sahen sie sich von Feinden umringt; jede weitere Kampfesäußerung hätte den Tod bedeutet. Wie die anderen Eingeschlossenen taten sie das einzige, was in einer solchen Lage Verschonung bedeuten konnte: Halef warf seine beiden Revolver und das Gewehr in den Sand, Sir Edward tat desgleichen und steckte zusätzlich sein geliebtes Fernrohr zurück in den Gürtel. Dann hob ein jeder Arme und Hände, bis weit über den Kopf.
»Bist du böse mit mir, Effendi?« sagte Halef noch.
» Rubbish 11 , verehrter kleiner Sir. Ihr habt Euch als Held versucht, weil Menschen in Gefahr waren – wie hätte ich da abseits stehen können? Ihr seid Beduine, ich bin ein Englishman – Leute unseres Schlages können nicht zusehen, wenn Unrecht geschieht. Auch bin ich Euch aus freien Stücken gefolgt. Wenn überhaupt, so sind wir beide dumbheads 12 . Ich denke aber, das eigentliche Scharmützel steht noch bevor. Seht, wir bekommen es mit dem Oberräuber zu tun!«
Jener gegnerische Reiter mit dem Fernrohr stürmte herbei, umschwärmt von einem Attachment »Offiziere«. Wie sein kostbarer Kamelhengst war er selbst reich geschmückt; der Aufputz eines hohen Wüstenkriegers übertrifft noch jeden Blücher oder Wellington. Bekleidet war der Siegreiche mit einem ungewöhnlich sauberen, durchweg smaragdfarbenen Gewande, der Farbe des Islams. Seine Kopfbedeckung war der typische, aus mehreren Ellen Seide gewickelte Turbanschal, der sogenannte Schesch, sowie eine weithin sichtbare Schärpe. Beide flammten in einem Rot, das an Blut gemahnte, mithin von dem besonders kriegerischen Charakter seines Trägers zeugen sollte.
Auch die Gestalt des bereits ergrauten Mannes war eine außergewöhnliche. In noch viel größerem Maße nämlich als Sir Edward war dieser Mensch hager, wirkte aber dennoch kraftvoll. Seine strengen, aus dunklen Leidenschaften geschnitzten Züge ließen ihn grausam und unerbittlich erscheinen, aber das konnte täuschen. Denn obgleich seine Miene verschlossen war, blickten seine dunklen Augen verstohlen zwischen der Karawane und den beiden zusätzlich eingebrachten Gefangenen hin und her. Längst schien für ihn ausgemacht zu sein, daß sie nicht dem Zuge angehörten, sich vielmehr aus freien Stücken in die Kampfhandlung gemengt hatten. Er witterte nach der Anhöhe, von der die verwegenen Reiter gekommen waren – waren sie nur der Vortrab einer anderen Streitmacht, oder hatten sie sich, ohne jede Verstärkung, an einen derart übermächtigen Feind gewagt?
Aus vollem Galopp, unmittelbar vor Halef und Sir Edward, machte der Anführer halt, daß der Sand aufspritzte und alle drei einhüllte.
»Dummköpfe! Ihr wagt es, Soldaten von Abu Saleh, dem Herrscher über die Oase Dschunet 13 , anzugreifen! Ich bin Faris Abbas, der Kommandeur seiner Garde, und sage: Ihr werdet geköpft!«
»Und ich, ich bin Hadschi Halef Omar, Scheik der Haddedihn«, erwiderte Halef trotz seiner emporgereckten Hände und ganz au pair. »Und sage: Der Friede des Herrn sei mit dir! Wir freuen uns, deine Bekanntschaft zu machen.«
Über diese unerwarteten Worte war der Kriegsherr so sehr verblüfft, daß er verlegen an den Zügeln seines Kamels zog. Das feinnervige Tier geriet ins Tänzeln, was den Befehlsgewohnten für einen Augenblick noch unsicherer wirken ließ. Als er es mit Hilfe einiger brutaler Hiebe seiner Gerte wieder zum Stillstand gebracht hatte, rief er seinem Stabe zu:
»Männer! Wir haben einen großen Sieg errungen, aber ein noch viel größerer wurde uns durch diese Dümmlinge
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