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Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Titel: Hadschi Halef Omar im Wilden Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Hohenthal
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mein Glas wieder auf den Tisch stellte, griff mir Faffle an den Arm.
    »Sir, es mag Euch ungewohnt erscheinen, aber in meinem Boarding House gilt neben dem Gesetz der Gastfreundschaft die Regel, daß mir ein jeder seinen Namen nennt. Wollt Ihr die Freundlichkeit haben, mir Euren zu nennen?«
    »Er lautet Karl Hohenthal«, sagte ich.
    Das war nicht unbedingt gelogen. Zum einen lautet mein Vorname wirklich so, zum anderen hege ich, wie man weiß, eine nicht ungefähre Beziehung zu den Orten Hohenstein und Ernstthal im Erzgebirge. Wie man sich ebenfalls erinnern wird, hatte mir zuletzt
der Dey von Algier 39 aus Dankbarkeit für seine Rettung aus der Hand des Piraten Ulunay Reisepapiere auf diesen Namen ausgestellt, welche auch hierzulande Geltung besaßen. Vielfach habe ich auf meinen Reisen die Erfahrung gemacht, daß es von Vorteil sein kann, über einen zweiten, selbst dritten Namen zu verfügen. Gerät man als der eine in Gefahr, entschlüpft man ihr als ein anderer.
    Man bedenke auch, wie oft man zu Hause von Gendarmen und Wachtmeistern, Konstablern und Kondukteuren unserer reich variierenden Königlich- und Kaiserlichkeiten behelligt wird. Ein beizeiten zurechtgelegter Name nebst sicherem Auftreten reicht hin, um sich Respekt bei Amtsträgern und Subalternen zu verschaffen. Somit bediene ich mich gern diverser, frei geschöpfter Leihnamen und schone so meinen eigenen vor Abnutzung, und diese Möglichkeit wollte ich mir auch in Cheyenne, in der Gaststube von »Mister Faffle«, vorbehalten. Meinen Geburts-, erst recht meinen überaus bekannten Westnamen nannte ich erst einmal nicht, noch weniger die Tatsache, daß meine Auftraggeber hier für mich reserviert, aber die betreffende Person nicht näher bezeichnet hatten. Auch in dieser Hinsicht bewahrte ich mir alle Freiheiten.
    »So, so«, brütete der Wirt. »Hohenthal, Hohenthal. Karl, Karl – nein, so jemand hat sich mir noch nicht vorgestellt, da waren jüngst ganz andere da. Zwar seht Ihr aus wie – zwar scheint Ihr zu sein wie – ach was, bleibt sitzen und trinkt Euer Bier. Ich verlasse mich auf meine Menschenkenntnis. Ihr habt einen freieren Blick als der andere, das muß genügen.«
    »Wirklich?« faßte ich nach. »Wer ist denn nun der andere? Da ich Euch so bereitwillig Auskunft gebe, solltet auch Ihr Euch öffnen. Schon auf dem Weg von der Eisenbahn hierher, erst recht seit meinem Eintreten sieht man mir nach, als wäre ich der Leibhaftige. Wer ist dieser Mister Hayes?«

    In diesem Moment geschah es, daß ich zufällig durch das Fenster auf die Straße blickte. Dabei wurde ich eines Mannes gewahr, dessen Anblick mich sprachlos machte. Dieser schien ebenfalls das Boarding House zum Ziele zu haben und war im Begriff, durch ebenjenes Fenster in die Wirtsstube hereinzuspähen. Ein Wunder nahm seinen Lauf, aber kein gutes – – –
    Beide, der Fremde und ich, schienen nämlich jeweils anstatt durch die Scheibe in einen Spiegel zu schauen. Was ich darin sah, war ohne Zweifel ich selbst, nur war ich älter geworden, um mindestens zwanzig Jahre. Kantiger war mein Gesicht, die Stirne nicht mehr glatt und schärfer meine Züge; auch war ich nicht mehr blond, sondern silbrig, eisgrau, wenngleich mein Haar und meine Barttracht, im Schnitte unverändert, immer noch als voll bezeichnet werden konnten. Meine Statur, lange geübt durch Turnen, Ringen, Schwimmen, Fechten und dergleichen mehr, hatte sich ihre asketische Haltung bewahrt; mein Spiegelbild ging ohne Stock, »ich« schwankte nicht, »ich« stand fest. Auch alles Nichtsichtbare, nichtsdestoweniger Wahrnehmbare war noch da. Die durch tausend Kämpfe erworbene Selbstsicherheit, die daraus resultierende, für jedermann spürbare Überlegenheit von Geist und Körper, der Ausdruck von Zuversicht in den Augen, die kaum je nachlassende Energie – das alles manifestierte sich in der mir eigenen Kraft, wie sie meinen gefürchteten Jagdhieb auszeichnet und mir aus diesem unglaublichen Glase, aus »meinem« Gesicht entgegenleuchtete – wie war das möglich?
    Am meisten frappierten mich »meine« Züge. Denn in dem bereits dem Greisenalter zustrebenden Antlitz war doch noch der Jüngling von einst zu erkennen, der tatkräftige Recke, als der ich vor gar nicht so langer Zeit im Studierzimmer gesessen, und natürlich der gereifte Weltbereiser, welcher ich heute war, der Wüstendurchquerer, der Westmann, der Schriftsteller und was nicht alles aus mir geworden war: Ich sah durch das Fenster und sah praktisch mich

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