Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
selbst, sah mich durch die Jahre und Zeiten hindurch – gespenstisch!
»Heideblitz«, rief einer. »Des isch de Mischter Haysch!«
Erst diese schwäbischen Worte rüttelten mich wach.
Wie aus einem Traume gerissen und zurück in die Wirklichkeit spediert, blickte ich um mich her, wohl ziemlich tölpelhaft. Ich hatte Grund dazu: Die Männer von der Tafel, um mich und den Wirt herum geschart, waren gleichfalls an das Fenster geeilt. Wie wir hatten sie die wundersame Erscheinung jener beiden wahrgenommen, welche einander nicht nur wie die sprichwörtlichen Eier glichen, sondern, was aller Erstaunen noch vergrößern mußte, sich jeweils im anderen in einer jüngeren und einer älteren Ausgabe erkannten.
Der Leser verzeihe, daß ich die jenem Ereignis nachfolgenden Sekunden oder Minuten überschlage; sie fehlen mir in der Erinnerung, wiewohl mir meine damaligen Empfindungen nur allzu gegenwärtig sind. Es versagt mir dabei das sonst immer bereite Handwerkszeug den Dienst: Ich, der Schriftsteller, finde keine Worte, um meine damalige Verblüffung, zugleich meine Faszination zu beschreiben.
»Ha, des isch joh de Mischter Haysch!«
Weil er genauso gepackt war wie ich und wir alle, »schwätzte« der Schwabe Ewald Pfäffle plötzlich in seinem ureigensten Idiom und wiederholte seine Worte von vorhin.
»Mischter«, drang er sodann auf mich ein. »Bei mir könnet d’ Leut’ veschpern, aber net d’ Wirt ausbäffa – einen deutschen Namen haben Sie mir genannt, aber anstatt deutsch sprechen Sie mit mir englisch. Sind Sie am Ende gar kein Landsmann, legen Sie es auf Täuschung an? Mischter, Sie brauchen gar nicht so entgeistert dreinzusehen; ich habe Sie beide gesehen, den einen Hayes und den anderen – Sie!«
Ich faßte mich und trank einen Schluck. Die Männer um mich her, verlegen über den Disput, kehrten an ihre Plätze zurück, tauschten aber flüsternd ihre Meinungen aus über das Gesehene und Gehörte.
»Herr Pfäffle, einigen wir uns auf das Hochdeutsche«, sagte
ich dem Wirt in unser beider Heimatsprache. Dabei betonte ich jedes Wort so genau, daß über meine Herkunft kein Zweifel bleiben konnte. Als ich sah, daß genau dieser Kniff »Faffle« beruhigte, sprach ich weiter:
»Wer ist dieser Mischter Haysch?«
»Ja no, der Mischter – Entschuldigung, ich habe mich wohl getäuscht. Als ich Sie hereinkommen und dann so sitzen sah, hielt ich Sie doch für jenen, der gerade vor dem Fenster stand. Er hat sich über Ihren Anblick genauso erschreckt wie Sie sich über seinen, er ist verschwunden. Für ein kurzes habe ich nochmals gedacht, der Mischter, also der Mister, nun: Hayes, das wären Sie!«
»Und? Wäre das so schlimm?«
»Allerdings! Der Mann macht zwar gute Zeche und begleicht sie auch, ich kann ihm da nichts nachsagen. Aber seit neuestem bringt er auch seine Kumpane mit; von Gentlemen kann man da nicht sprechen. Jedesmal gibt es Streit. Hayes hat es auf Washburn abgesehen, mit seiner Kompagnie der dort drüben sitzt.«
»Wohl auch ein Mischter?« erkundigte ich mich.
»Nein«, lachte Faffle-Pfäffle erstmals. »Er und die anderen, das sind ehrenwerte Leute. Haben Sie nicht gelesen? Nach dem Yellowstone wollen sie, noch in diesem Sommer, dort oben alles vermessen und Karten zeichnen. Sie tun das nicht des Geldes wegen und auch nicht im Auftrag einer Mining Company. Das Gebiet soll unter Schutz kommen, aber nicht für die Rothäute und auch nicht für uns Weiße, sondern für alle Farben, die der Erdball zu bieten hat.«
»Und das also paßt Mister Hayes nicht? Warum?«
Ob dieser Frage schnitt der Wirt die durchtriebenste Miene, die ich jemals sah.
»Ahnen Sie es denn nicht? Milton Hayes ist in Wyoming Kupferkönig, ja weit darüber hinaus. Gold, Silber, Eisen, Stahl, das alles interessiert ihn nicht, selbst um Öl balgt er sich mit anderen Investoren nicht. Hayes geht es um immer mehr Indianerland. Er haßt die roten Männer, aber er liebt das rote Erz!«
Jetzt verstand ich. In den Vorabend der Expedition war ich geplatzt; bereits vor meinem Eintreffen mußte es unschöne Auftritte gegeben haben. Zwar wußte ich nicht, ob am Yellowstone mit Kupfervorkommen zu rechnen war; dafür schien es ein anderer zu wissen, und der hatte sich Washburn sowie den biederen Wirt zu Gegnern gemacht: jener Milton Hayes.
»Was ist er für ein Landsmann?« begehrte ich zu wissen, denn zu jener Zeit war so mancher erst kurz im Lande; die Herkunft eines Menschen sagte viel über ihn aus.
Faffle wiegte
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