Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
Abgangsversuch hatte Hayes den Bogen überspannt. Ein Gerangel zwischen Washburns und Kilmers Leuten setzte ein, das leicht in eine Schlägerei ausarten konnte. Damit war niemand gedient.
Pfäffle dachte genauso. Der kleine Schwabe sprang auf einen Tisch und bat sich Ruhe aus, und ja, die Männer gehorchten.
»Mister Hayes«, schalt der Wirt von seinem Podest. »Ihr habt einen Ehrenmann herausgefordert, nämlich meinen Koch, der er zur Stunde immer noch ist. Er, der Unerfahrene, wie Ihr sagt, hat sich Euch, dem Westmanne, wie Ihr behauptet, gestellt. Drei Durchgänge habt Ihr ihm und meinen Gästen versprochen, drei! Jetzt, wo gerade ein halber absolviert ist und Ihr selbst Standfestigkeit beweisen müßt, drückt Ihr Euch – nicht bei mir, nicht im Boarding House von Ewald Pfäffle!«
»Gut gesprochen«, rief es umher. »Der Wirt hat recht!«
Hayes wirkte verlegen. Schnell tauschte er ein paar Blicke mit Kilmer, aber seine Karten standen schlecht. Inmitten des Gewühls, in dem er sich befand, konnten seine Komplizen ihn nicht herausschießen, und bei einer Keilerei hätten sie, schon auf Grund ihrer Minderzahl, den kürzeren gezogen. Dem »Westmann«, falls er denn einer war, blieb nur, das Werfen fortzusetzen, mit sich selbst vor dem Messerfang. Als wäre nichts gewesen, biß er also in die Apfelhälfte, freilich so knapp, daß ein möglichst großes Stück
aus seinem Munde schaute. Dabei sah er auf das Bärenmesser in den Händen des Mannes, den er herausgefordert hatte – Theobald Hirtreiter.
Der wog nun selbst fachmännisch die Klinge, und ich atmete auf: Seit Hayes damit renommiert hatte, wollte ich sie mir ausführlich betrachten. Zwar befand ich mich auf einer Art Hochstand und in gehöriger Entfernung, zwar flimmerte der Qualm unzähliger Zigaretten und Zigarren in dem fahlen Lichte über den Männern, doch sind glücklicherweise meine Sehwerkzeuge scharf genug, um Einzelheiten selbst unter solchen Umständen genau auszumachen.
Das kam nicht von ungefähr.
Wie man vielleicht weiß, war ich als Kleinkind fast blind. Von einer schlimmen Krankheit betroffen, lüfteten sich meinen Kinderaugen die Schleier erst spät, so daß ich nicht eher als im Jugendalter wenigstens einigermaßen sehen lernte. Später dann, im Aufwachsen, trat das genaue Gegenteil dieses zeitweiligen Unvermögens ein, und als Erwachsener bekam ich geradezu Adleraugen. Es ist, wie man erraten wird, ein Trick dabei, so scharf zu sehen. Wieder ist hierbei Winnetou mein Lehrer gewesen; auch diese Fertigkeit hat er mit mir geübt, bis ich sie beherrschte. Daran ist nichts medizinisch Wunderhaftes; einem jeden, der mich danach fragte, könnte ich zeigen, wie leicht man seine Sehkraft vervielfachen kann. Aber es war dies Winnetous Unterweisung, und ich bezweifle, ob ich das Recht habe, sie weiterzugeben.
In der Spanne Zeit, während Hirtreiter das Bärenmesser durchexerzierte, fielen mir genug Details auf, um mir ein ungefähres Urteil darüber bilden zu können.
Da war zunächst einmal die Größe des Ungetüms.
Man hat auf dem Alten Kontinent schon von dem legendären Bowiemesser gehört, wie es auch Hayes erwähnt hatte. James Bowie, gerufen Jim, hatte es sich einst als Werkzeug und Waffe für den Nahkampf fertigen lassen. Noch bei der Verteidigung der Alamo-Mission in Texas bestritt der Trapper, Jäger und Soldat sein
letztes Gefecht mit dieser Klinge; zehntausendfach kursieren seither in den Staaten Nachfertigungen desselben.
Das Bärenmesser war noch viel größer. Mindestens zehn Zoll in der Länge und bestimmt zwei Zoll in der Breite maß es, eingebettet in ein daumendickes Heft. Das schon beschriebene Schmuckwerk an dem Griff aus Perlmutt außer acht gelassen, konnte nur ein besonders fähiger Schmied eine solche Arbeit vollbringen. Doch wozu? Welchem Zwecke diente ein Messer, das ein halber Degen, eine dreiviertel Machete war? Sollte ich glauben, Hayes gehe wirklich damit auf Bärenjagd, wenn er nicht gerade in den Städten seine Kupfer- und andere Geschäfte betrieb? Besaß er solche Kräfte, so viel Gewandtheit? Falls er überhaupt je diese Klinge ins Fleisch eines Grizzlys getaucht hatte, diente sie ihm jetzt allein der Angeberei, wie auch die Grizzlyzähne an seiner Halskette? Es stand fest, daß die Herstellung eines solchen Einzelstücks aufwendig war. Aber so wenig ein Koch, erst recht ein Erster Mundkoch, ein Festmahl zu improvisieren vermochte, also im Gegenteil viel der Vorbereitung bedurfte, so wenig würde der
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