Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
beste Schmied geneigt sein, ein derartiges Trumm einfach so daherzuklopfen.
Indes war es mir unmöglich, weiter nachzudenken. Es galt – jetzt oder nie!
Mehrmals hatte Hirtreiter das Schwergewicht inzwischen auf und ab geworfen, um ein Gefühl für dessen Schwere und damit Flugeigenschaften zu gewinnen, mehr der Vorbereitung bedurfte er nicht. Anfänglich waren es ein paar Zentimeter gewesen, doch jedesmal waren ein paar mehr hinzugekommen, so daß er zuletzt wie ein professioneller Werfer wirkte. Ich für meinen Teil hatte Mühe, mir einen anerkennenden Pfiff zu verkneifen: Der Mann verstand sich auf Messer.
Trotzdem war das Ziel, auf das er sich kaprizierte, unfaßbar klein. Wie Hayes mußte er genau dieselbe Anzahl Schritte zurückweichen, was das Objekt, das schon beim ersten Wurfe dezimierte Äpfelchen, nochmals verkleinerte. Inzwischen war es an der Luft oxidiert und somit braun geworden; ein Umstand, der den
Wurf nochmals erschwerte. Das kleine Etwas verschmolz nun mit den Farben seiner Umgebung und war dadurch noch weniger deutlich zu erkennen.
Atemlosigkeit: Hayes, aufrecht, ohne erkennbares Zittern, stand vor dem Messerfang aus den hochkant gestellten Tischen. Weit schob er den Kopf nach vorn; zusätzlich das Kinn, um Hirtreiter den Apfelrest so prominent wie möglich darzubieten. An den von ihm erwähnten Wilhelm Tell mußte ich denken und auf wen dieser mit seinem Bogen angelegt hatte – Hayes, in Dresden als Heise geboren, trug als Deutscher denselben Vornamen wie einst Tells Sohn: Walter.
Wie anders Hirtreiter!
Schon die Weise, wie er das schwere Messer wurffertig machte, nahm mich weiter für ihn ein. Das war, wenn noch nicht Westmannsart, so unbedingt die Klasse eines erfahrenen Jägers. Da war noch mehr, beispielsweise seine Ruhe, welche auf starke Nerven schließen ließ. Keinem anderen in Pfäffles Gasthause hätte ich zugetraut, was Hirtreiter jetzt zu leisten hatte; auch mir selbst wäre ein solcher Wurf nicht leicht geworden. Unwillkürlich wollte ich dem Beispiel der Zuschauer folgen und dem Geschehen nochmals näher rücken, aber das ging nicht, ich hatte die Nase bereits durch das Treppengeländer gezwängt.
Die Spannung war unerträglich – würde Hirtreiter überhaupt etwas treffen? Keinen einzigen Probewurf hatte Hayes ihm zugestanden; auch sonst war niemand auf die Idee gekommen, so etwas zugunsten des Kochs zu fordern. Würde also Hirtreiter den Apfel treffen? Würde er dabei Hayes verletzen, ihn schlimmstenfalls töten? Die Obrigkeiten in Europa wissen, weshalb sie Duelle verbieten.
Und dann! Nicht an der metallenen Spitze, am Knaufe faßte Hirtreiter das Messer. Diesen besseren Fühlens wegen zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger geklemmt, setzte er zum ersten und entscheidenden Wurfe an. Auch er stellte das linke Bein vor, um die Standfläche zu vergrößern, und auch er ließ einmal, zweimal,
ein drittes Mal den Oberkörper vor- und zurückwippen. Dann tat er seinen Schlachtruf, mit dem er sich die Anspannung aus dem Leibe schrie:
»Bin i a Bayer, oder bin i a Preiß!«
Die Klinge sauste aus seinen Fingern. Schneller, als meine Augen es erfassen konnten, schwirrte das Bärenmesser davon und federte in die Holzplatte.
Alle blickten wie gebannt auf Hayes. Er war nicht etwa tot oder wälzte sich blutend am Boden; immer noch stand er kerzengerade an seinem Platze, allerdings schweißüberströmt und mit aufeinandergepreßten Kiefern. Der Apfelrest vor seinem Mund war allerdings verschwunden, nur eine Andeutung des Stiels ragte noch hervor. Mochte Hayes auch schwer atmen, er befand sich ohne erkennbare Verwundung, es war ihm nicht das Geringste geschehen.
Ein unbeschreibliches Getöse brach los:
»Hoch, hoch, was für ein Wurf!«
Ein Dutzend Hände griff sich den Bayern, der Großes geleistet hatte. Seine Joppe fiel zu Boden, sein Hütchen ebenfalls. Die Männer hoben den Wehrlosen auf und drehten ihn auf den Rücken. Voll Freude und Anerkennung warfen sie ihn auf und nieder. »Hoch, hoch, hoch!«
Schon wollte ich mich hinabbegeben, um dem Favoriten, wenn nicht bereits Sieger meinen Respekt auszusprechen. Der Wettbewerb sollte ja vorbei sein, sobald von dem Apfel nichts mehr übrig war, so hatte Hayes die Regeln vorgegeben. Da bemerkte ich freilich, wie derselbe sich aus seiner Starre löste. Als erste Regung gab er ein Zeichen, aber nicht an Kilmer, sondern an drei seiner Männer. Ihnen oblag die Sicherung des Haupteinganges. Damit war klar, daß der Verlierer auf
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