Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
schloß und im Halbdunkel auf die andere, offenstehende Tür blickte, welche hinaus zum Hofe führte. Da nämlich stand er schon, da stand Winnetou, und nie vergesse ich seine Worte:
»Mein Bruder Scharlih ist das Licht, das die Nacht nicht zurückhalten kann; wie Strahlen am Morgen dringt die Freude, ihn wiederzusehen, in Winnetous Herz. Dort wohnt die Sehnsucht seit so vielen Monden 47 , die fast eine große Sonne 48 währten, doch nun ist mein Bruder zurückgekehrt, howgh!«
Was nur sollte ich Winnetou auf diese herzlichen Worte entgegnen?
Am besten gar nichts. Wir eilten aufeinander zu, umarmten, herzten und küßten uns, und damit war der Begrüßung auch schon Genüge getan; die weiteren Erfordernisse zwangen uns zum Handeln. Wir wußten nebenan Menschen, es war geschossen worden, und ein weiter, gefährlicher Ritt lag vor uns.
Erst jetzt fiel mir auf, daß die überraschend kleine, blitzsauber gescheuerte Küche festlich dekoriert worden war. An jeder Wand, von Besteck, Koch- und Serviergeschirr sowie allerhand Viktualien
füglich getrennt, hingen Wimpel in den Farben Bayerns; von der Decke herab grüßte die königliche Wappenfahne. Alles war so drapiert, daß während des Kochens nichts schmutzig werde konnte – Hirtreiter liebte seine Heimat und seinen König glühend!
Winnetou beobachtete mich natürlich, und wie immer las er in meinen Augen, was ich dachte. Er sagte:
»To-na-ka-pah ist neu im Lande der roten Männer, und doch hat er es meinem Bruder bereits angetan. Hätte Old Shatterhand nicht von seinem Verstecke aus über ihn gewacht, die weißen Männer hätten ihn erschossen.«
Was hatte Winnetou da gesagt?
Jene vier Silben stammen aus der Sprache seiner Mescalero-Apachen. Es liegt ihnen ein besonderer Klang zugrunde, eine Mischung aus Wertschätzung und durchaus auch ein wenig Spott, weshalb man sie nur ungefähr übersetzen kann, am besten mit »Herrscher über die Töpfe« oder auch »Herr der Töpfe« – da hatte Hirtreiter ja bereits seinen Indianernamen weg!
Ich sagte:
»Weiß mein roter Bruder, wer jene weißen Männer sind?«
Und Winnetou, der nie etwas äußerte, ohne sich zuvor gründlich Gedanken gemacht zu haben, berichtete mir in seiner knappen Weise, was er während seines nächtlichen Schleichens in der Stadt gehört und gesehen hatte.
Jetzt verstand ich: Während uns Hayes im Boarding House ein Messerwerfen geboten hatte, beschützt von Kilmer und einigen seiner Leute, hatte eine halbe Meile weiter der Rest der Bande eine ganz andere Vorstellung inszeniert. In den Lagern der Eisenbahn hatten die Verbrecher sich zu schaffen gemacht, wo die Ausrüstung von Washburns Expedition wartete. Und ein Weiteres sei geschehen, fuhr der Häuptling der Apachen fort:
»Winnetou sah, wie die weißen Männer etliche Fässer und Lederbündel davontrugen, aber zwischen dem Rest Federn und weitere Gegenstände hinterließen, welche man von den Schlangen kennt.«
Schlangen – damit waren die Schoschonen gemeint. Hayes hatte ja fallen lassen, daß er sich mit ihrem Anführer, Donnerwolke, verbündet habe.
Umgekehrt schilderte ich nun Winnetou, was ich am Nachmittage in dem Stalle, bei dem Gespräche zwischen Hayes und Kilmer, vernommen hatte. Ersterer beabsichtigte demnach ein Doppelspiel: Einerseits hatte er die Schoschonen gegen Washburn aufgebracht, andererseits legte er zu ebenjenen eine falsche Fährte, die bis in die Stadt hineinreichte. So konnte er später, wenn man Washburn und sein Gefolge ermordet fände, um so glaubhafter die Schuld auf die Indianer schieben. Für sich selbst hatte er ein perfektes Alibi geschaffen. Daß sich nämlich zum Zeitpunkt des Einbruchs er selbst, ja sogar seine Kumpane bei »Mister Faffle« befunden hatten, dafür gab es zwei Dutzend Zeugen – darunter sogar mich, Old Shatterhand.
Aber wir konnten nicht weitersprechen. Obwohl ich spürte, daß Winnetou mir noch etwas Wichtiges mitzuteilen hatte, fuhren wir auseinander.
Aus dem Gastraume nahten Schritte, und bis auf weiteres war es besser, wenn die Anwesenheit des Häuptlings nicht bekannt wurde. Er schien genauso zu denken, denn es bedurfte keines Wortes, und er schob sich durch die Tür nach dem Hofe.
Ich selbst machte mich schnell an einem Kasten zu schaffen, welcher mit übriggebliebenen Speisen von dem Festmahle übervoll war. Man hatte tagsüber mit angesehen, daß ich kaum etwas gegessen hatte, und niemand würde Old Shatterhand einen Dieb nennen, nur weil er sich nach vollbrachter
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