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Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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betrachtete ich ihr Nasenpiercing. Und
als sie zum Bett von Frau Busch hinüberging, hatte ich freie Sicht auf ihre
Rückseite, die nicht von der grünen Putzfrauenschürze verhüllt wurde. Dank
ihrer Hüftjeans und des knappen, türkisfarbenen Shirts blieben mir nicht mal
ihr schwarzer String und das darunter tätowierte Arschgeweih verborgen. Ich
versuchte zu schätzen, wie alt sie war. Älter als ich in jedem Fall. Unter der
dicken Schicht Make-up entdeckte ich die ersten Fältchen in ihren Augenwinkeln.
Mindestens fünfundzwanzig, vielleicht auch schon dreißig. Trotzdem noch
reichlich jung, um schon als Putze am Ende der Karriereleiter angekommen zu
sein.
    Meine Wertschätzung für Frauen, die sich zum Toilettenschrubben
aufbrezelten, als wollten sie die Nacht durchfeiern, war nicht besonders hoch.
Wahrscheinlich verwandelte sich Blondie nach Dienstschluss in eine billige Discobraut,
die sich jede Nacht von einem anderen abschleppen ließ.
    So wie ich.
    Autsch.
    Sie wischte hastig und ließ den Bereich unter den Betten
aus. Ich zweifelte daran, dass das den Hygienevorschriften einer medizinischen
Einrichtung entsprach.
    Sie stieß mit dem Rücken gegen den Nachtschrank von Oma
Busch. Prompt raschelte ein ganzer Stapel Klatschzeitschriften zu Boden.
    Â»Fuck!«, fluchte die Putzfrau leise und fing an, alles wieder
einzusammeln. Sie bückte sich nach einer BILD-Zeitung, die neben meine
Turnschuhe geflattert war. Dabei rutschte der Ärmel ihres türkisfarbenen Shirts
nach oben und mein Blick fiel auf einen dunkelblauen Bluterguss, der ihren
ganzen Unterarm verfärbt hatte.
    Ich wusste, wie solche blauen Flecken entstanden, oft genug
hatten meine eigenen Arme genauso ausgesehen.
    Ich will gehen, bevor der Streit eskaliert.
    Â»Liana! Bleib hier!«, kreischt meine Mutter, mehr
ängstlich als wütend. Da packt er bereits mein Handgelenk. Mein Vater reißt
mich zurück, der Ruck schießt mir schmerzhaft durch den Arm in die Schulter,
mein Unterarm scheint in seinem Griff zerquetscht zu werden.
    Die Raumpflegerin hob die Zeitschrift auf und zupfte den
Ärmel wieder herunter.
    Erstaunt bemerkte ich, dass die Detektivin in mir plötzlich
hellwach war. Wer war das gewesen? Ihr Macker? Ihr Zuhälter? Papi?
    Die Putzfrau wischte noch schnell über das Waschbecken
und ich bildete mir ein, ihre Hände dabei beben zu sehen. Das flache Bild der
aufgebrezelten Tanzmaus, das ich mir auf den ersten Blick von ihr gemacht
hatte, veränderte sich in Sekundenschnelle. Mir fiel auf, dass ihre Bewegungen
ein wenig eckig wirkten, dass sie den Blick nicht ein einziges Mal vom Boden
hob, dass ihre Fingerknöchel sich weiß färbten, weil sie den Stiel des Wischers
so fest umklammert hielt. Was war ihr passiert? Wer hatte sie so brutal
festgehalten, dass ein solcher Bluterguss, ein Hämatom, entstanden war? Und wieso?
    Ich merkte, dass ich die Frau anstarrte.
    Sie merkte es nicht. Sie nahm den Lappen und den Wischer,
schlüpfte aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
    Kaum war sie raus, zog ich meinen knielangen, lila Pulli
über das Krankenhausnachthemd, schlüpfte in meine Turnschuhe und folgte ihr auf
den Flur. Denn ich hatte gerade eine Möglichkeit entdeckt, mich von meinem
vermurksten Leben abzulenken – und das war genau, was ich dringend brauchte:
etwas, was mich davon abhielt, wieder auf ein Dach zu klettern!
    Die Blonde in der grünen Schürze schob einen großen
Wagen, der mit mehreren Eimern, verschiedenen Reinigungsmitteln, Schwämmen,
Gummihandschuhen, einem Vorrat an Klopapier, frischen Handtüchern und einem großen,
dunkelblauen Müllsack beladen war, vor das nächste Zimmer.
    Ich zog mir einen Kaffee aus dem Automaten am Ende des
Flures und setzte mich an den wackligen, kleinen Tisch daneben, auf dem alte
Zeitschriften auf angetrockneten Getränkeflecken lagen. Ich tat, als würde mich
brennend interessieren, dass Prinz Was-weiß-ich-wie neuerdings eine Realschülerin
bumste, während ich beobachtete, wie die Putzfrau im Fünfminutentakt die Zimmer
wechselte.
    Fünf Minuten pro Zimmer, das machte zwölf Zimmer pro
Stunde, machte drei Stunden und fünfundvierzig Minuten für die fünfundvierzig
Doppelzimmer auf dieser Station, rechnete ich. Mit Schwesternzimmer und
Raucherraum benötigte Blondie also vielleicht vier Stunden zum Säubern des
gesamten Bereichs.
    Der Pappbecher in

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