Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
Vom Netzwerk:
Abteilungsleiterin
geworden? Waren alle anderen Bewerber Analphabeten gewesen?
    Ich blätterte ihre restlichen Unterlagen durch. Es waren
einige Arbeitsbescheinigungen und Zeugnisse, in denen unter anderem McDonald’s, eine Fischfabrik und ein
Kfz-Betrieb bestätigten, dass Janna fleißig, pünktlich und freundlich sei und
das Arbeitsverhältnis nur aufgrund des auslaufenden Kurzzeitvertrages beendet
werden müsse.
    Meine Putzfrau war interessanter, als ich erwartet hatte.
Aber ihre Unterlagen nutzten mir leider gar nichts.
    Ich schlug die nächste Bewerbung auf. Erstaunt stellte
ich fest, dass ich mit meinem Analphabetenvrdacht gar nicht so falsch gelegen
hatte.
    Eine junge Russin namens Anastassja hatte ihr kurzes Anschreiben
in krakeliger Handschrift aufgesetzt und es auf durchschnittlich drei
Rechtschreibfehler pro Wort gebracht. Auf dem Passfoto wirkte sie unterernährt
und anämisch blass. Die angehefteten Zeugnisse waren in Kyrillisch verfasst.

    Die nächsten vier Bewerbungen sahen genauso aus.
    Die Sache war schwieriger als erwartet.
    Ich durchsuchte die Akte nach einem deutschen Namen. Es
dauerte eine Weile, bis ich einen fand. Die Bewerbung war schon älter. Eine
mollige Zwanzigjährige starrte mit offen stehendem Mund geistesabwesend in die
Kamera. Sogar auf dem Foto konnte ich erkennen, dass sie ihre Zahnspange nicht
oft genug getragen hatte. Merkwürdigerweise schien sie kein Kinn zu haben und
kaum Hals, ihr teigiges Gesicht ging gleich in die nach vorn gesunkenen
Schultern über. Sie hatte ihre fettigen, farblosen Haare zu einem dünnen
Pferdeschwanz zusammengebunden und ihre dicken Lider wirkten aufgequollen.
    In manchen Fällen wäre etwas mehr Make-up auch von
Vorteil. Aber das Bewerbungsschreiben war sauber getippt.
    Viktoria Lebrecht hatte nach dem Hauptschulabschluss eine
Ausbildung zur Hauswirtschafterin in einem kleinen Hotel in Bochum absolviert
und bewarb sich als Schwerbehinderte um den ausgeschriebenen Arbeitsplatz im
Reinigungsbereich.
    Der Zusatz auf der beigelegten Kopie ihres Behindertenausweises
– Retardierung, Putzzwang – ließ mich schmunzeln. Sehr passend.
    Tatsächlich hätte Viktoria den Arbeitsplatz aber wohl
auch ohne Schwerbehindertenbonus bekommen, denn ihre Bewerbung war die
qualifizierteste, die ich bisher entdeckt hatte.
    Ich nahm die Kopie ihres Hauswirtschafterinnenzeugnisses
aus der Mappe, als im Flur irgendetwas zu rattern begann.

    Ich hielt inne.
    Das Geräusch kam näher. Irgendwas ziemlich Großes wurde durch
den Kellerflur geschoben! Ich rutschte vom Stuhl, kauerte mich mit den Zetteln
in der Hand hinter den Rollcontainer des Schreibtischs und spähte gespannt zur
Tür.
    Verdammt! Von hier unten aus entdeckte ich den gut zwei
Zentimeter breiten Türspalt, durch den das Licht hier drinnen auf dem Flur zu
sehen sein musste.
    Es ratterte jetzt direkt vor dem Büro.
    Mit einem Satz sprang ich auf, schnappte den erstbesten
Putzlappen und schleuderte ihn vor die Tür.
    Im gleichen Moment begriff ich, dass sich das Geräusch
bereits wieder entfernte.
    Ich atmete auf.
    Einen Augenblick lang wartete ich, dann öffnete ich die
Tür einen Spalt. Ein Pflegehelfer schob am Ende des Ganges eine dieser
Krankenwagentragen durch eine Tür. Das ratternde Metallgestell, an dem die
ausklappbaren Räder befestigt waren, schepperte noch einmal laut, als es über
die Schwelle hüpfte. Das Laken, mit dem das ganze Gefährt abgedeckt war,
rutschte ein wenig, sodass ein nackter Fuß darunter erschien.
    Schnell zupfte der Pfleger das Tuch wieder zurecht.
    Erst da begriff ich, dass er die Trage in die Pathologie
fuhr. Hastig schloss ich die Tür.
    Pathologie! War das etwa wieder ein neonlichtflimmernder,
muffig riechender Albtraum?
    Quatsch! Das hier war ein Krankenhaus, hier starben nun
mal Patienten.
    Ich musste mich auf meinen Plan konzentrieren! Entschlossen
setzte ich mich an den Schreibtisch und blätterte weiter in den Bewerbungen.
    Svetlanas Unterlagen entdeckte ich ziemlich weit hinten.
    Svetlana arbeitete schon seit zehn Jahren hier. In
Russland war sie Diplomsportlehrerin gewesen und hatte an einer Schule
unterrichtet. Nach der Wende hatte sie nach Deutschland geheiratet, drei Kinder
bekommen und sich irgendwann um eine Stelle als Raumpflegerin beworben. Die sie
offensichtlich auch bekommen hatte.
    Tja, auch ihre russischen Zeugnisse halfen mir nicht weiter.

    Mir blieb nichts anderes

Weitere Kostenlose Bücher