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Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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den Teller.
So belastbar war mein Magen noch nicht.
    Â»Ja.« Gundel musterte mit verschränkten Armen den Teller,
den ich nicht anrührte.
    Â»Weil man mit einer Karte das Türschloss zur Not knacken
kann, wenn es klemmt?«
    Â»Nein, weil so niemand mehr die Türschlösser reparieren
kann, wenn sie kaputt sind, und jede Tür außerdem eine Batterie braucht, die
ständig gewechselt werden muss«, entgegnete Gundel.
    Ich grinste.
    Â»Wenn Sie essen, verrate ich es Ihnen.«
    Ich schnitt eine Grimasse.
    Die kleine Krankenschwester wartete ab.
    Zögernd hob ich die Warmhaltehaube wieder. In dem
braunroten Matsch schwammen weiße Bröckchen. Ich wunderte mich, dass das Zeug
nicht in einer dieser nierenförmigen Kotzschüsseln serviert wurde. Ich
versuchte, den Bohnengeruch nicht einzuatmen, und steckte mir einen Löffel voll
in den Mund, ohne zu schlucken.
    Gundel griff nach der um ihren Hals baumelnden Karte: »Das
Ding ist Stempelkarte und Schlüssel in einem. Der Vorteil ist, dass man die
Karte programmieren kann. Diese hier öffnet alle Räume, in denen ich als
Krankenschwester zu tun habe. Ich brauche keine zwanzig Schlüssel, und wenn ich
Zugang zu einer anderen Tür benötige, kann das ein Programmierer elektronisch
ändern und schon komme ich rein. Außerdem muss ich die Karte jeden Morgen beim
Einstempeln neu aufladen. Nach vierundzwanzig Stunden erlischt die
Zugangsberechtigung automatisch. Wenn ich also die Karte verliere, brauche ich
nicht die gesamte Schließanlage der Klinik zu bezahlen.«
    So war das also.
    Gundel nahm ein volles Tablett aus dem Essenswagen und
verschwand im nächsten Zimmer.
    Ich sprang auf, rannte den Flur hinunter zur Toilette und
spuckte den Löffel Bohneneintopf, den ich noch immer im Mund hatte, ins Klo.
    Jetzt wusste ich, warum hier jeder Patient automatisch
eine Magentablette verordnet bekam: Das war die einzige Möglichkeit, dieses
Essen zu verdauen.

    Â 
    Eine Stempeluhr fand ich in der Eingangshalle der
Klinik neben einem Geldautomaten der Sparkasse und einem Schuhputzgerät.

    Jedenfalls ging ich davon aus, dass der Plastikkasten mit
Display eine Stempeluhr war. Aber wie funktionierte sie?
    Ich betrachtete die Auslagen der Cafeteria, deren Angebot
im Wesentlichen aus belegten Brötchen, Klatschzeitungen, Kitschromanen,
Süßigkeiten und – man staune – verschiedenen Weinsorten bestand. An der Kasse
warteten ein junger Mann, aus dessen Knie Blut durch zwei Schläuche in einen
Plastikbeutel lief, und ein Arzt südländischer Herkunft, der gut vierzig Kilo
Übergewicht mit sich herumschleppte – plus das halbe Kilo, das er in Form von
fünf Schokoladentafeln unter den Arm geklemmt hielt.
    Aus dem Augenwinkel entdeckte ich meine russische Stationsärztin,
die zielstrebig auf die Stempeluhr zusteuerte. Sie schob ihre Schlüsselkarte in
einen seitlichen Schlitz.
    Es piepte. Feierabend.
    Unauffällig schlenderte ich zu dem Apparat hinüber. Und
siehe da – irgendeine hilfsbereite Person hatte für alle, die nicht wussten,
wie das Ding zu bedienen war, freundlicherweise eine Anleitung hingehängt.
Danke schön!

    Â 
Schlüsselkarte einschieben – A = Kommen – B = Gehen – C =
Aktivierung der Zugangsberechtigung – Schlüsselkarte abziehen
    Â 
Also C.
    Ich widerstand der Versuchung, die geklaute Schlüsselkarte
gleich zu aktivieren, denn gerade schaukelten drei Krankenschwestern der
Brontosaurierklasse heran. Der vordere Dino hatte bereits Museumscharakter, die
beiden anderen konnten in meinem Alter sein, vertuschten ihre Jugend aber durch
Dauerwelle und Biolatschen gekonnt.
    Ich trat ein Stück zur Seite, um nicht versehentlich
platt getreten zu werden.

    Â 
    Erst weit nach Mitternacht, als Oma Busch hörbar
schnarchte und eine vietnamesische Nachtschwester allein für die Station
zuständig war, schlich ich aus dem Zimmer.
    Vier rot leuchtende Lampen über den Zimmertüren verlangten
nach der Schwester, die schon eine ganze Weile mit dem inkontinenten
Schwerhörigen im Nachbarzimmer beschäftigt war.
    Ich fuhr mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss.
    Die Eingangshalle war leer, der Empfang um zwanzig nach
elf nicht mehr besetzt, der beleuchtete Hinweis auf den Notausgang spiegelte
sich im marmorierten Boden.
    In die Klinik hinein kam man um diese Zeit nur auf einer
Trage durch die Notaufnahme.
    Ich war allein. Als mir das klar

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