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Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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aufgeknöpften Ausschnitt der Bluse gut
machen würde, wenn die Karriere es erforderte.
    Wer heutzutage auf dem Arbeitsmarkt einen Job ergattern
wollte, musste schließlich nicht nur in seine Ausbildung, sondern auch in sein
Äußeres investieren. Deshalb kaufte ich gleich noch Make-up und Wimperntusche,
eine eigene Haarbürste und ein paar spießige Haarnadeln, mit denen ich mir
meine blonden Zotteln streng an den Kopf klemmte.
    Die Brille mit auffälliger lila Fassung brachte meinen Dispo
allmählich an seine Grenzen. Aber die Investition lohnte sich, denn sie ließ
mich auf dem Bewerbungsfoto, dass ich an einem Passbildautomaten machte,
deutlich älter und seriöser aussehen.

    Â 
    Zurück im Krankenhaus ließ ich meine alte
Cordjacke am Kleiderständer in der Cafeteria am Haupteingang hängen. Auf dem
nächsten Klo tauschte ich meine Turnschuhe gegen die schwarzen Pumps, stopfte
Rolli und Jeans in die C&A-Tüte, aus der ich die neue Bluse und die
Nadelstreifenhose holte, und hängte die Tüte neben meine Jacke an den Haken.
    Dann schob ich die lila Brille auf meine Nase und die Bewerbung
unter meinen Arm und fragte an der Rezeption nach der Verwaltung.
    Das Klinikmanagement – erklärte mir die Empfangsdame,
ohne zu bemerken, dass wir uns vor vier Tagen schon einmal begegnet waren –
befände sich im obersten Stockwerk des Altbauflügels.
    Ich nahm den Fahrstuhl. Als sich die Tür öffnete, blickte
ich in einen Büroflur, in dem von der dauerdesinfizierten Krankenhausatmosphäre
nichts zu bemerken war. Der Boden war mit rotem Teppich ausgelegt, die Wände
statt im allgegenwärtigen Mintgrün Reinweiß gestrichen. Glitzernde Tannen
standen in Fensternischen und in der Mitte des Ganges roch eine dunkle Sitzecke
nach neuem Leder. Aus Lautsprechern in der Decke dudelte dezent Weihnachts-usik.
    Ich schlenderte an den Türen entlang und las die Beschriftungen.
Da gab es den Medizinischen
Schreibdienst, die Buchhaltung, die Personalabteilung, die Hauswirtschaftsleitung, die Pflegedienstleitung, das Betriebsratsbüro, das Chefarztsekretariat und das Büro von
Gott persönlich, dessen vollständige Anschrift Chefarzt – Prof. Dr. med. Gotthard von Lauenstein lautete. Daneben
das Sekretariat des Klinikmanagements, den stellvertretenden leitenden Klinikmanager und die leitende Klinikmanagerin –
Katja A. Schrage.

    Aha. Eine Frau leitete das Management.
    Ich dachte eine Sekunde lang darüber nach. Dann ging ich
zurück zur Tür der Hauswirtschaftsleitung. Denn Hauswirtschaft schien meiner Meinung nach am ehesten für die Putzfrauen
zuständig zu sein.
    Außerdem klang der Name an der Tür vielversprechender: Karl-Heinz Herold. Wie gesagt, in der
heutigen Zeit muss man alle Register ziehen, um einen Job zu ergattern.
    Das war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen mir die
fehlgeschlagenen Erziehungsversuche meiner Mutter etwas nutzten. Um eine
wohlerzogene Oberstaatsanwaltstochter aus mir zu machen, hatte sie mich von
klein auf mit Ballett- und Klavierunterricht darauf abgerichtet, bei älteren
Herren gut anzukommen. Deshalb rechnete ich mir bei Karl-Heinz Herold gute Chancen
aus. Ich straffte die Schultern, öffnete den obersten Knopf meiner blasslila
Bluse und klopfte an der Tür des Hauswirtschaftsleiters.
    Â»Ja, bitte?«
    Absichtlich trat ich auf die Türschwelle, sodass der Absatz
meines Pumps hörbar klapperte. Der Mann hinter dem Schreibtisch hob den Kopf.
Im Bruchteil einer Sekunde war mir klar, dass meine Chancen tatsächlich gut
standen. Der Hauswirtschaftsleiter ging stark auf die Rente zu. Er war nicht
groß und nicht dünn. Das graue Jackett seines Anzugs hatte er ausgezogen und
seinen rosa Schlips gelockert, trotzdem war sein rundes Gesicht gerötet und
sein fein gestreiftes Hemd zeigte dunkle Schweißflecken unter den Achseln.
    Â»Guten Morgen. Ich bin auf der Suche nach Herrn Herold …?«
    Â»Sie haben ihn gefunden.« Er wischte seine Hand an der
Hose seines Anzugs ab, bevor er sie mir reichte.
    Ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln: »Mein Name ist
Lila Ziegler. Ich möchte gern eine Blindbewerbung einreichen. Ich würde mich
freuen, wenn Sie darauf zurückkommen, sollte mal eine Stelle frei werden.«
    Er ließ meine Hand los und nahm den Schnellhefter entgegen.
Ich verkniff es mir, meine Hand ebenfalls abzuwischen.

    Der Dicke klappte die Mappe

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