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Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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Entstehung des Blutergusses ansetzen konnte. Schließlich lautete
Detektivregel Nummer eins: Alle Alibis
werden überprüft, aber die der Familie immer zuerst.

    Natürlich gab es hier gar keinen echten Fall, in dem ermittelt
werden musste. Ich beschäftigte mich ja nur mit Janna, weil ich mich nicht mit
mir selbst beschäftigen wollte. Weil ich kein eigenes Leben mehr hatte, hatte
ich mir Jannas Leben geklaut, ging es mir durch den Kopf. Im gleichen Augenblick
bemerkte ich das nervöse Zittern meiner Hände.
    Plötzlich fühlte ich mich auf eine neurotische Art schuldig
an Jannas Tod. Wie eiskalt war ich eigentlich, dass ich auf die Beerdigung der
Frau ging, deren Identität ich gestohlen hatte?
    Ich zitterte stärker. Ich drehte schon wieder durch! Ich
musste mich zwingen, an etwas anderes zu denken.
    Es gab Grund genug, etwas über Janna herauszufinden. Immerhin
hatte sie irgendjemand kurz vor ihrem unerwarteten Tod misshandelt. Vor so
einem Hintergrund war ihr Tod vielleicht nicht mehr ganz so unerwartet.
    Dass ich bei Verletzungen jeder Art immer als Erstes an
die Familie dachte, hatte ich wahrscheinlich nicht nur Ben Danners
Detektivregel Nummer eins zu verdanken, sondern auch meinem gewalttätigen
Vater.
    Deshalb sah ich mir die Menschen in der ersten Reihe ganz
genau an. Neben einer wimmernden Frau mit dickem, grauem Pferdeschwanz saß
kerzengerade das Mädchen, dessen Foto auf meinem Schreibtisch stand. Und neben
der Kleinen erkannte ich Jannas Mann. Kein Zweifel, obwohl ich im Büro kein
Bild von ihm entdeckt hatte. Der Typ passte zu ihr wie Heino zu Hannelore:
Anfang dreißig, groß, dunkelhaarig wie seine Tochter, muskulös, mit einem
markanten Kinn und dem Tattoo eines Drachen, das sich aus dem Kragen seines
dunklen Hemdes den Hals hinaufschlängelte.
    Ich konnte das Hochzeitsfoto vor mir sehen: Sie aufgebrezelt
und überschminkt, mit einem Glitzerstein am Nasenpiercing und einem aufreizend
kurzen Kleid, er in einem Hemd mit geöffnetem Kragen, das sein Tattoo
ausreichend zur Geltung brachte, das Baby vielleicht schon auf dem Arm der
Braut.
    Da kein Kandidat für die Rolle des gewalttätigen Vaters
der Toten in Sicht war, war der Tattooträger als Verursacher des Hämatoms auf
Anhieb mein Favorit. Auch wenn mir das alte
Tätowierter-Mann-verprügelt-Ehefrau-Märchen reichlich abgedroschen erschien.
Aber der Kreis der Verdächtigen schien sehr begrenzt.
    Warum waren keine Freunde gekommen? Kein Sportverein?
Keine anderen Grundschulmütter? Wenn jemand in Jannas Alter starb, war die
Beerdigung doch gewöhnlich eine Massenveranstaltung wie ein Rockkonzert. Wäre
Janna die Discobraut gewesen, für die ich sie bei unserer ersten Begegnung
gehalten hatte, würde ein DJ die Fete aufpeppen müssen und ein paar Rapper
würden die Worte des Pastors für das jüngere Publikum übersetzen.
    Der Pastor, ein schmächtiger, junger Mann mit dunklen
Haaren und Hasenzähnen, trat neben den Sarg.
    Â»Liebe Trauergemeinde«, lispelte er tief betroffen, »wir
haben uns hier heute versammelt, um von unserer lieben Ehefrau, Tochter und
Mutter Johanna Degenhardt Abschied zu nehmen …«
    Die Frau mit dem dicken, grauen Zopf und Svetlana
schluchzten gleichzeitig und so laut, dass der Rest der Begrüßung nicht zu
verstehen war.
    Die Eingangstür klackte blechern. Eine Frau kam herein.
Weil alle Plätze besetzt waren, stellte sie sich mit etwas Abstand neben mich.
Der Fellkragen ihrer Jacke versteckte ihr tief ausgeschnittenes Dekolleté
nicht, die blondierte Löwenmähne widerstand der Schwerkraft zweifellos nur mithilfe
einer Überdosis Haarfestiger und sie hatte mit einem pinkfarbenen Lippenstift
versucht, ihre schmalen Lippen doppelt so breit zu schminken, als sie wirklich
waren.
    Eine Freundin? Zumindest teilte sie Jannas Vorliebe für
dick aufgetragenes Make-up. Der Blick der Blonden wanderte unter unechten
Wimpern durch den Raum und ich sah schnell nach vorn.
    Die Trauerrede war kurz und nichtssagend. Der Pfarrer
betonte, was für eine liebevolle Mutter Janna gewesen sei. Und das ungefähr
dreiundzwanzig Mal, wie ein dressierter Papagei.
    Gab es sonst nichts über sie zu sagen? Was war sie für
eine Ehefrau? Tochter? Freundin? Kollegin? Sie war doch nicht ihr Leben lang
nur Mutter gewesen. Sie hatte nicht mal ausgesehen wie eine.
    Nach zwanzig Minuten war die Trauerfeier beendet und der
Sarg wurde

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