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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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ich am Fenster, bis die Sonne unterging, b e trachtete den Aufstieg des Mondes und tastete gelegentlich zur Gesäßtasche meiner Jeans, in der meine Waffe steckte.
    Neben mir stand ein kleines, billiges Radio, das leise deutsche Schlager krächzte: WDR 4, mehr haute nicht hin.
    Der Mond leuchtete fiebrig, aber fahl. Er war gigantisch , man konnte selbst Kraterlandschaften auf der toten Oberfläche erkennen, und sein Licht verlieh den nebligen Schwaden, die ihn umwölkten, einen leukämischen Heiligenschein.
    Ein zerklüfteter Mond, der unsere Gezeiten steuerte und der Legende nach eine Mutation bei den Verdammten auslöste.
    Irgendwann frühmorgens – der kleine Empfänger dudelte ein Lied, in dem sich Berlin auf Wien reimte – sah ich, was ich lange nicht hatte wahrhaben wollen …
     
    Es war zuerst nichts als ein geschmeidiger, massiger Schatten, der sich aus den Büschen löste, um dann ins Licht unserer L a terne zu springen.
    Die Kreatur ging aufrecht, zumindest einigermaßen. Trotzdem machte sie nicht den Eindruck, dass sie das immer tat; ich nehme an, sie war dabei, sich unter dem erblassenden Mond
    zurück zu verwandeln.
    Es war kein richtiger Wolf, und auch keins von diesen stupsn a sigen Lon-Chaney-Dingern in Drillichhose und geplatztem Hemd.
    Ich sah eine nackte, muskulöse Bestie, die mit struppige m , wi r beligem Haar bewachsen war.
    Der Kopf war entsetzlich deformiert , er erinnerte nur entfernt an ein Wolfsgesicht, eher an einen chinesischen Drachen, aber die spitzen, schartigen Ohren, die lang gezogene, schwarzbra u ne Schnauze und die Oberschenkel, die kurz und knorrig wie die Läufe eines Hundes waren, ließen keinen anderen Schluss zu: W enn man die Augen zusammenkniff, sah das Ding aus wie ein entstellter Wolf.
    Das Tier hockte sich mitten ins trübe Licht und pinkelte auf den Beton.
    Er schüttelte sein Fell; Blut spritzte aus dem Pelz und bespre n kelte den Boden.
    Der Wolf hatte vor dunkelroter Nässe getrieft, aber jetzt hatte seine Behaarung sich aufgerichtet. Vor unserem Haus saß ein Monster, halb Mensch, halb Wolf, besudelt vom Blut derer, die in der Nahrungskette unter ihm standen – und in unserer Sie d lung war das so ziemlich jeder.
    Ich habe einen Tortenheber , ging es durch mein taubes Hirn, als er plötzlich mit leuchtend gelben Augen zu mir hoch starrte.
    Dann hob er den Kopf, legte die Ohren an und heulte.
    Ich hörte die Tauben aus dem Zuchtstall in der Nachbarschaft panisch flattern, und auch meine Hände begannen unkontro l liert zu zittern.
    David war nach Hause gekommen.

11
    Ich hörte ihn aus meinem verrammelten Zimmer durchs Fe n ster klettern.
    Ich hörte ihn scharren und jaulen, während er sich vermutlich weiter zurück verwandelte.
    Als es hell wurde, klopfte ich an.
    Den Tortenheber hatte ich auf die Fensterbank gelegt; ich glaubte nicht mehr, dass er mir von Nutzen sein würde.
    »Komm rein«, rief er. Seine Stimme klang kehlig und verw a schen.
    Ich trat ein. Ein Blick reichte, mir Magensäure die Kehle hoch schießen zu lassen.
    David sah mich an.
    Das Zimmer existierte nicht mehr.
    Der Raum, in dem Dave während dieser Mondphase gelebt hatte, war zu einer Höhle geworden, einer Vorratskammer vo l ler tropfendem Fleisch. Überall waren schillernde Fliegen. O b wohl der Geruch bestialisch war, war das Summen der Insekten das Schlimmste.
    Ich sah kein einziges Körperteil, das als solches zu erkennen gewesen wäre.
    Nur nasse Brocken Gewebe, überall im Raum verteilt und von erschütternder Farbvielfalt.
    Von Madenlarven durchzogenes, verrottendes Silbergrau, dunkles, frisches Rot, geschwollenes, aufgeplatztes Dunke l braun – und Blut in allen Phasen der Gerinnung an den Wä n den, auf dem Boden …
    Davids Augen glimmten noch immer gelb, wenn auch schw ä cher. Er war nackt.
    »Dave. Mann … «, sagte ich nur. Ich zitterte.
    »Tut mir leid«, knurrte er mehr, als er sprach. Er wirkte nicht verlegen, eher benommen und verstört.
    »Du bist ein Werwolf«, sagte ich leise. Ich sagte es, um zu h ö ren, wie es klingt.
    »Danke für den Hinweis. Ich wäre selbst nicht drauf geko m men.« Er ließ seine Hand, die noch immer sehr lang und haarig war, viel sagend durchs Zimmer schweifen.
    Seine Stimme war voller Trauer.
    »Dave.« Ich konnte nur seinen Namen wiederholen. »David.«
    »Es ist nicht wie in Hollywood, weißt du. Es ist die Hölle. Du kannst nirgendwo bleiben, niemand akzeptiert dich. Aber du kannst auch nicht sterben.«
    » Das hier soll ich

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