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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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gehetzt, und ohne sie weiter anzus e hen.
    Mir fehlte de r erforderliche Sinn für ihre üblichen Monologe über Alterskrankheiten und die Wichtigkeit, uralte Steintreppen nass »aufzuwischen«, als wären sie dann weg. Sie war eines dieser Originale, die jedes alte Haus mit mehreren Parteien beherbergte: Der Liebling der Hausverwaltung, die Geißel aller Mitmieter unter fünfundsiebzig.
    Sie überraschte mich allerdings .
    »Haben sie es gehört?«, fragte sie. Ihre alte Stimme klang hohl im Treppenhaus.
    »Was«, fragte ich, während ich das Rad durch den Flur bugsie r te.
    »Heute morgen lag dieser afrikanische Junge zwischen den Garagen. Mausetot.«
    Ich kannte keinen afrikanischen Jungen; darüber hinaus irritie r te mich ihr Tonfall, der erschreckend amüsiert klang.
    »Welcher Afrikaner?«
    »Der mit dem Auto.«
    Das war nicht einen Deut präziser, aber ich wusste plötzlich, wen sie meinte.
    Den einzigen Kerl, den hier wirklich jeder kannte: Belly.
    »Wie, tot?«
    Mir wurde übel.
    » Ermordet . Er lag zwischen den Garagen.«
    Ich nickte, als hätte ich endlich verstanden, und wuchtete mein Rad wie betäubt durch die Tür.
    Draußen sah ich dann, was mich geweckt hatte.
    Zwei Polizeiwagen hatten sich in einer wichtig aussehenden V-Formation vor den Garagen platziert.
    Schlecht gekleidete Männer, die aufgrund ihres Gehabes Zivi l fahnder sein mussten, schlenderten herum, stellten Fragen und schrieben mit.
    Die gesamte Nachbarschaft hatte sich, vor dem Haus versa m melt, zum Teil im Bademantel.
    Jemand klopfte dem Leichenwagen polternd aufs Dach, und er fuhr ab.
    Ich ging wie magnetisch angezogen zu der Stelle, die ich für den Tatort hielt.
    Die Längsseite der Garagenwand war wild mit Blut bespritzt; vereinzelte Haarbüschel klebten an der getränkten Fassade. Es sah aus wie ein Ro rschachtest aus der Hölle .
    Ein junger Mann in einer Art Schutzanzug, wie ihn Lackierer tragen, machte Polaroids davon.
    Ich konnte nichts wahrnehmen außer dieser Sinfonie aus Ra u putz, Blut und dem summenden Auswurfgeräusch der Kamera.
    Nach einer oder vielleicht auch zehn Minuten bestieg ich mein Rad; ein schrecklicher Gedanke hatte sich in meinem Kopf eingenistet.
    Heute Nacht war nicht nur mir etwas sehr Beängstigendes w i derfahren , auch draußen waren schlimme Dinge passiert.
    Und es gab einen Zusammenhang.
    Ganz sicher.
     
    In Halle Vier – meinem Bereich, in dem die große Knochens ä ge Rinder teilt wie ein heißes Messer Butter – konnte ich trotz des anhaltenden Lärms meine Gedanken nicht abschütteln.
    Unkonzentriertheit konnte man sich hier allerdings nicht erla u ben . N icht, wenn man in Greifnähe rotierender, hirnloser Stahlzähne stand, die so ziemlich alles zerschneiden k o nnten, wenn man sie ließ.
    Ich arbeitete seit sechs Monaten hier.
    Tagaus, tagein bekam ich die Innenansicht von Rindern, große Container voller dampfender Innereien und den einen oder anderen Kopf zu sehen, dessen milchige Augen ins Walhalla f ür vierbeinige Säuger blickten.
    Aber diese vielleicht fünf Liter mutwillig verspritzten Blutes, wenn auch aus den Adern eines Arschlochs, füllten meinen Kopf aus – zusammen mit einem nebulösen Schuldgefühl, das ich nicht einordnen konnte.

8
    Als ich die Wohnungstür öffnete, schlug mir wieder der G e stank entgegen . W as gestern Nacht allerdings nicht mehr als eine lästige Wahrnehmung gewesen war, nahm jetzt eine u n fassbare Dimension an.
    Dave war in seinem Zimmer. Aber so vehement ich auch gegen seine Tür pochte , e r dachte nicht daran zu öffnen . W ahrschei n lich hörte er mich durch die brüllende Musik gar nicht.
    Ich stellte fest, dass er meine Stereoanlage geklaut hatte.
    Was vorher der Rest meines Bewohnerstolzes gewesen war, nämlich ein Sony-Block mit CD-Player und Plattenspieler, war nun ein ausgebleichter Fleck auf dem Parkett.
    Scheinbar hatte Dave überhaupt keine moralischen Sperren; ein winziger, dunkler Teil in meinem Hirn wusste das schon alle r dings schon länger.
    Ich starrte auf das helle Viereck am Boden, während mir dieser überwältigende Gestank in die Nase stach, und überlegte, was ich tun sollte.
    Ich versuchte, die Tür zu öffnen, aber David hatte offensich t lich wieder einen Keil oder so etwas darunter geschoben.
    »Dave!«, schrie ich. »DAVE! Mach die beschissene Tür auf!«
    Ich pochte wie ein Wahnsinniger an seine Tür. Als meine Kn ö chel zu schmerzen begannen, trat ich dagegen.
    »David! Kacke!« Ich wurde wirklich wütend.
    Das

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