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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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akzeptieren?«, schrie ich.
    Er machte einen Satz auf mich zu. Ich sah in seinen Augen etwas W ildes, als sein Gesicht dicht vor meinem war. Es sah fast wie das Gesicht des David aus, den ich kannte – nur gr o ber, holzschnittartiger, als müsste die menschliche Haut erst in ihre alte Form zurückfinden.
    »Du hast keine Ahnung. Es ist kein rumänischer Hokuspokus, keine Legende.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Was ist es dann?«
    »Eine Krankheit«, flüsterte er.
    Das war schwer abzustreiten. Zu einer Bestie zu mutieren, die instinktgesteuert und mordlustig war, Menschen zu töten, und ihr Fleisch hierhin zu verschleppen , schien jedenfalls nicht gesund zu sein. Ich hatte so eine Ahnung, dass ich nicht der erste war, der diesen Vortrag hörte.
    Trotzdem bemerkte ich verstört, dass ich eher Mitleid als Angst empfand.
    »Du hast mein Vertrauen missbraucht«, sagte ich, überrascht, eine Art gerechten Zorn zu empfinden.
    »Ich konnte nicht anders.« Seine Stimme wurde von Minute zu Minute normaler, menschlicher.
    »Wieso, um Himmels Willen?«
    Sein Blick nahm einen verträumten Ausdruck an.
    »Der Geruch nach Blut. Ich wollte nur Hallo sagen, in dein Haus kommen, mir vielleicht im Keller einen Unterschlupf suchen. Aber alles hier riecht nach Blut. Die Wände, der B o den. Du. Ich war wie berauscht. Ich musste einfach bleiben.«
    Ich sagte nichts. Wenn man wie ich in Halle Vier arbeitete, konnte man da wahrscheinlich schwer gegen argumentieren.
    »Aber du hattest Geld. Warum wolltest du ursprünglich in den Keller?«
    »In der Nacht, als du an meine Tür geklopft hast … «, setzte er an. Dann schwieg er.
    »Was? Was war da?« Aber ich wusste es schon.
    »Wärst du eine Minute länger an der Tür geblieben, hätte ich dich gefressen.«
    Es sagte das so schlicht, wie es ihm möglich war.
    Trotzdem sah ich mich auf den Bohlen unseres Wohnungsflurs liegen, während mein Mitbewohner meine Därme aus mir he r aus zerrte – ein struppiges, stinkendes Ding, das in der Du n kelheit durch die Tür gebrochen war.
    »Ich möchte, dass du ausziehst«, sagte ich. »Und nimm das alles hier mit.«
    Ich weinte, wenn ich mich recht erinnere.

1 2
    Eine Stunde später stand er in der Küche. Er sah nicht aus wie ein mordendes Tier. Er wirkte verletzlich und müde.
    Seinen Beutel trug er über der Schulter; neben der Tür standen acht blaue Müllbeutel mit unaussprechlichem Inhalt. Er sah mich direkt an.
    »Ich bin kein schlechter Mensch«, sagte er.
    Ich erwiderte nichts.
    »Ich suche mir nur Gegenden aus, in denen der Abschaum vegetiert. Verbrecher, Dealer. Niemand vermisst sie.«
    Ich versuchte, die Freuden eines aufgepumpten Reifens gegen den blutigen Tod vieler Menschen abzuwägen, aber es gelang mir nicht.
    Ich griff in die Schublade des alten Küchenschranks und zählte sein Geld ab.
    Er war nur einige Tage geblieben . A lles zu behalten, hielt ich für unfair, Werwolf oder nicht.
    Teilzeitbestie und Teilzeitmieter …
    »Das hier … «, ich hielt einen Schein hoch, »ist für das Fenster.«
    Dann ging David.
     
    Ich hab die Zeitung, die ich gelegentlich kaufe, abonniert.
    Ich gehe nicht mehr gern aus dem Haus, vor allem abends, wenn der Mond scheint.
    Außerdem lese ich von Zeit zu Zeit den Regionalteil. Eigentlich täglich.
    Ich halte nach besonderen Vorkommnissen Ausschau.
    Morgen werde ich eine neue Anzeige schalten; die Wohnung ist immer noch zu teuer.
    Ich musste den Text etwas modifizieren, aber es ist kaum te u rer geworden.
    Suche Mitbewohner, Dortmunder Norden, 80 Qm, baufällig, aber günstig.
    Sehr ruhige Gegend.

Nachtprogramm
    Beim ersten Mal, als sie ihren Mann nach seinem Tod wieder sah, spielte er Klarinette.
    Obwohl sie wusste, dass er kein Instrument beherrschte, fügte sich sein Spiel vollkommen nahtlos in das des Orchesters ein; aber der Ton war ohnehin nicht überragend, wenn man die Erwartungen eines Hörers voraussetzte, der selbst simple R a diosendungen in digitaler Qualität serviert bekam.
    Das war auch nicht der Punkt: der Punkt war, dass er nicht aus den anderen Orchestermitgliedern hervorstach; seine Finger huschten über das Instrument, sein Blick war konzentriert, sein Haar nass zurück gekämmt; der Anzug, den er trug, wirkte steif, aber es schien ihm nichts auszumachen.
    Dann trat Benny Goodman ins Bild, lächelte so strahlend, wie es eben in den Grauabstufungen einer vergangenen Epoche möglich war und setzte seine Klarinette an die Lippen.
    Let the good times roll.
     
    Karl-Heinz war

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