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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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konnte.
    »Ich habe die Niere eines Toten bekommen und wäre fast da r an gestorben.« Der Mann lächelte grimmig. »Eine Infektion. In der Zeit der Genesung habe ich viel gelesen, die Bibel vor a l lem, und ein Buch für Berufschüler über Buchhaltung. Was anderes war nicht verfügbar.
    Eines nachts, als ich schon wieder laufen konnte und mir dra u ßen eine rauchte, kam mir die Erleuchtung. Die Parallelen w a ren einfach zu deutlich.«
    »Die Erleuchtung«, echote der Alte. Er fühlte sich mittlerweile etwas besser, nicht viel, aber genug, um zuzuhören.
    »Jawoll. In der Bibel steht: Der Herr hat gegeben, und der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen. Aus dem Buch Hiob. Biblische Buchhaltung, wenn man es leicht verei n facht ausdrückt, oder?« Sein Kunde schnippte mit den Fingern. Er erschien nun völlig begeistert.
    »Wenn jemand sterben muss, damit jemand anderes leben kann, was ist dann der mathematisch korrekte Umkeh r schluss?«
    Nach einer Sekunde des Schweigens fuhr er fort.
    »Das bedeutet: wenn ich – oder wer auch immer – ein Leben rettet, steht eines zur Disposition. Wenn ich eines rette, kann ich eines nehmen.«
    »Das ist Wahnsinn!«
    »Das sind die Grundlagen vernünftiger Buchhaltung, und ich habe nicht einmal christliche Glaubenssätze außer Acht gela s sen. Werfen Sie mir bloß nicht mangelnden Humanismus vor, nur weil ich das hier mache. Ich tue es lediglich, weil ich es kann. Es ist nichts P ersönliches.«
    »Was bitte ist nichts P ersönliches? Das s Sie mich überfallen, misshandeln, verspotten?«
    In der Stimme des Tabakwarenhändlers wand sich eine Spirale der Wut. Das letzte Wort spie er geradezu aus.
    »Nein. Ich meinte dies hier«, lächelte der Mann.
    Dann griff er erneut die schlaffen Wangen seines Gegenübers und brach ihm mit einem kräftigen Ruck das Genick.
     
    *
     
    Er musste ein Taxi nehmen, um noch rechtzeitig zum Flugh a fen zu kommen.
    Während das Fahrzeug sich durch den Verkehr schlängelte, schlug er seine Kladde auf.
    Die ersten acht Seiten waren dicht beschrieben. Er blätterte um.
            ein Hund, angefahren aber lebendig, Tierarzt.
    -           eine Kuh, Teppichmesser, nachts.
    E ine Zeile weiter:
            einem Kind, männlich, über die Straße geholfen. Sehr rege befahren!
    -           Säugling erstickt, Johanniter-Hospital, mittags.
    Er schrieb seinen Depressiven und den Tabakmann darunter.
    Dann blätterte er zurück zur ersten Seite, wie er es immer tat, wenn er eine neue Eintragung gemacht hatte.
    In der ersten Zeile stand:
    Und wenn jemand gesündigt hat : W ir haben einen Sachverwa l ter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten. / 1. Johannes 2,1 .
    D arunter seine aller erste Buchung:
            Spinne aus dem Wohnzimmer an die Luft gebracht, e x trem ekelig.
    -           Ameisenhügel zerstört, Feuerzeugbenzin, morgens.
    Er wusste immer, wo sie waren: Gefährdete Menschen an Bahnhöfen nachts, Kinder morgens an der Straße, alte Leute im Park, wenn die Sonne brannte. Tiere waren mittlerweile uninteressant.
    Man lernt dazu, selbst bei so trockenen Dingen wie Buchha l tung.
    Er klappte die Kladde zu, griff seine Aktentasche und sprintete los, Gate 42 entgegen.
    Genug Buchungen für heute.
     
    Als er die Gangway der Boing hinaufging, vor sich ein weiterer Geschäftsreisender, hinter sich die Stimmen eines verwelkten Paares, bemerkte er aus den Augenwinkeln einen irisierenden Fleck.
    Er blickte hinunter und sah eine schillernde Pfütze unter den Rädern des Flugzeugs, die sich rasch ausbreitete.
    Er war kein Techniker, aber die Lache wirkte fremd und b e drohlich; sie erschien ihm wie etwas von einem anderen Stern, und nicht wie etwas, was man auf einem Rollfeld vermutete.
    »Was ist denn das da ? «, fragte er die uniformierte Frau mit dem gefrorenen Lächeln an der Bordluke.
    »Was meinen Sie?«
    »Dieser Fleck da.« Er wies auf den sich ständig vergrößernden, schillernden Teppich.
    Ihr Lächeln schrumpfte nur ein kleines Bisschen, aber der Mann mit der Aktentasche bemerkte es.
    »Gefährlich, oder?«
    Statt zu antworten, griff sie in eine verdeckte Konsole und flüsterte etwas in ein Funkgerät.
    Er fand, dass ihre Stimme nicht mehr ganz so unverbindlich klang; dafür sprach sie zu leise und entschieden zu schnell.
    Als sie sich zu ihm umwandte, trug sie wieder ihre Maske der Gastfreundschaft.
    »Wir danken ihnen ausdrücklich. Es ist nichts S chlimmes, aber … «
     
    Die

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