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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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gleichzeitig lud er nach.
     
    Der Kopf des Vaters war wie der eines Stiers, und doch völlig anders.
    Seine irrlichternden, schwarzen Augen blickten zornig durch den nebeligen Saal auf die Bruderschaft herab.
    Die Bestie breitete die Arme aus. Die Schatten dieser monstr ö sen Arme fiel auf die Gesichter der Brüder.
    Er trat einen weiteren, donnernden Schritt vor.
    Benni n g spürte heißen Urin in seinem Hosenbein.
    Zumindest die Hose war hin; ob sein gesunder Menschenver s tand besser abschnitt, war noch unklar.
    Er wünschte sich, er wäre nach Hause gefahren; es gab gefüllte Blätterteigtaschen.

2 5
    »Wer hat das getan?«, fragte der Vater.
    Seine Stimme war wie ein apokalyptisches Nebelhorn, laut und hohl, dröhnend und alles verzehrend.
    Niemand antwortete.
    Benning, der neben der Tür stand, und an dem der Vater vo r beigestapft war (der Vater wäre vermutlich auch durch ihn hindurch gegangen, dachte er), taumelte auf den Gang hinaus. Sein letzter klarer Blick galt dem mächtigen Rücken der Kre a tur, ein dunkelrotes, nasses V, bevor er auf dem Gang in die Knie ging.
    Er kroch durch den Rauch, Meter um Meter, bis er eine Ecke fand.
    Er richtete sich auf; seine Lunge brannte.
    Benning taumelte weiter. Er wollte nur weg von hier.
    Zuhause wartete seine Familie . Und Blätterteigtaschen.
     
    Irgendwann erreichte er eine Tür. Er fächerte den Qualm be i seite und las.
    »Halle II. Bühneneingang Süd.«
    Als er sie aufstieß, fiel er erneut auf die Knie.
    Das war gut; er wäre ohnehin zusammengeklappt wie ein Ka r tenhaus, wenn er gestanden hätte.
    Zuerst sah er den Brunnen.
    Er erkannte ihn nicht als das Relikt. Er hätte jetzt nur zwischen Armani-Anzügen und Blätterteigtaschen unterscheiden kö n nen.
    Als er sich daran hochzog, konnte er einen Blick in die Halle werfen.
    Unter der riesigen Kuppel war nichts als Rauch. Es sah aus wie ein schwarzer Himmel, der S chlimmeres als nur Regen in sich trug. Überall glimmten rote Lichter; die Notbeleuchtung ve r mutlich.
    Der Innenraum, indem viele Tausend Menschen Raum fanden, hatte sich in einen Ascheplatz verwandelt.
    Der graue, qualmende Staub von Gott weiß wie vielen Me n schen, die nur Popmusik hatten hören wollten, aber das Antlitz des wütenden Wiederkehrers erblickt hatten, bedeckte den Boden.
    Diese Stätte des Entertainments hatte sich in ein gigantisches Krematorium verwandelt. Asche war überall, und an vielen Stellen gab es Erhebungen, die wie die kauernden, versteinerten Fragmente von Pompeji aussahen.
    Hinter der Absperrung zur Bühne sah er einen geschmolzenen Klumpen liegen, auf dem seltsam verzerrt der geschwungene Bogen von Nike zu sehen war. Die Halle war zum Innern eines verfluchten Vulkans geworden, der bei seinem Ausbruch alles in klumpiges Geröll und grauen Staub verwandelt hatte.
    Bennings Fingerknöchel traten weiß hervor, als er sich am Brunnenrand festklammerte und sich in dessen Schale übergab.

2 6
    Benedikt hörte das blecherne Aufschlagen der ausgeworfenen Geschosshülse, nicht aber den dumpfen Knall.
     
    Die Frage des Vaters klang noch immer wie ein infernalisches Glockenspiel im Gehör aller Anwesenden nach, und obwohl es in der Halle totenstill war, herrschte bei allen eine schmerzhafte Taubheit vor.
    Der gefallene Priester fiel noch einmal, während sein Hinte r kopf sich wie ein bizarrer Fächer aufzurichten schien, um dann seinen Inhalt auf den Nebenmann klatschen zu lassen.
     
    Der Vater brüllte auf; einige der Brüder fielen in Ohnmacht, anderen schoss Blut aus den Nasenlöchern.
    Dann krümmten sich die Berge dunkelroter, stinkender Musk u latur, und die samtenen Vorhänge begannen zu schwelen, um eine Sekunde später in grellrote Flammen aufzugehen. Der Boden wurde heiß; Benedikt spürte selbst oben an seinem G e schütz, dass der Belag unter seinen Stiefeln klebrig wurde.
    Irgendetwas war elementar schief gelaufen.
    Diese Erkenntnis – und der schwer zu ignorierende Temper a turanstieg – riss die Bruderschaft aus ihrer Starre:
    Sie begannen planlos umher zu rennen, in alle Richtungen – außer in die Nähe des Vaters, dessen Haut nun fast schwarz war, und der selbst beißende Rauchschwaden absonderte.
    Benedikt und seine Waffenbrüder ergriffen die Flucht. Die Gewehre ließen sie da.
     
    Später sollten sie für ihre Verdienste geehrt werden; heute g a ben sie sich nur mit ihrem Leben zufrieden.
     
    »Der Notausgang. Da!«, brüllte der Bürgermeister, der trotz des kleinen Abstechers durch die Hölle

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