Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Tankstelle das erste M al ganz bewusst: E in gleißendes Ding, das wie ein gelandetes Ufo in eine dunkel asphaltierte Nische nahe der Straße gekauert war. Alles erstrah l te in viel zu hellem, schreiendem Licht ; die Zapfsäulen waren verwaist und aufgereiht wie Soldaten in Bereitschaft, was der Tankstelle eine besondere Aura der Verlassenheit verlieh. Sie erinnerte mich an irgend etwas – ich kam momentan aber nicht drauf.
Kein Auto, kein Kunde war zu sehen, aber die Tankstelle strahlte zuversichtliche Rund-um - die - Uhr-Bereitschaft aus.
Sie wirkte geradezu einschüchternd modern. Die vorher r schenden Farben waren Blau und G elb, und ein riesiges Leuchtschild wies diesen Ort als TREMONIA Tankstelle aus.
Ich betrat das Gelände, nahm den schwachen Benzingeruch wahr und registrierte die vielen Leuchttafeln, die so ziemlich alles zeigten, was es zu kaufen gab : Windjacken, Radiowecker, Mobiltelefone, Rasierschaum … T ankstellenübliche Dienstle i stungen hingegen, wie Ölwechsel oder Motorwäschen, wurden merkwürdigerweise nur sehr subtil über handgeschriebene T a feln angeboten. – Weil man diese Dinge tun muss , fiel mir ein. Natürlich.
Eine Motorwäsche oder ein Ölwechsel sind irgendwann zwi n gend erforderlich, was man von Kaminholz, de n Beutel zu Neun Fünfzig, nicht behaupten konnte. Neben dem strahle n den Hauptgebäude stand ein weiterer Komplex, der völlig im Dunkel n lag : Die Autowaschanlage, die zur Vermeidung i r gendwelcher Missverständnisse mit riesigen Symbolen von Autos, Schraubenschlüsseln und Waschbürsten versehen war – es könnte ja jemand denken, es handle sich um das örtliche Krematorium.
Ich ging zum Nachtschalter, in der Gewissheit, mit einem u n motivierten Mitarbeiter des Tremonia-Imperiums über eine knarzige Gegensprechanlage kommunizieren zu müssen, fand die Eingangstür aber geöffnet vor.
Der Laden war von innen viel größer, als er von a ußen wirkte, was vermutlich an den nach neuesten kaufmännischen Regeln positionierten Regalen lag.
Auch hier war das Licht der herrschende Faktor : Die Truhen mit den Tiefkühlgerichten glühten geradezu, alles war in fast schmerzendes, aber optimistisches Licht getaucht.
Ich marschierte durch die leere Tanke, wobei mich ein gewisses Gefühl von Deplatziertheit umfing, und griff mir eine unve r schämt teure, aber ziemlich gut präsentierte Flasche Jack D a niels aus einem der Spirituosenregale. Ich gebe zu, das s mich die ganze Aufmachung der Tankstelle ziemlich beeindruckte. Alles wirkte sauber, schmackhaft und funktionell cool. Ich fühlte mich animiert, einige Barren Marzipan und eine robuste Stablampe zu kaufen, aber ich hatte nicht genügend Geld. Alles war für mich so irritierend wie ein Einkauf im Duty-Free Shop am Flughafen, weil man einfach in ungewohnter Gegend mit Waren konfrontiert wurde, die man gern besitzen würde, hier aber niemals vermutet hätte.
Ich klemmte mir die Flasche unter den Arm und ging zur Ka s se.
Im Kassenbereich, hinter der üblichen, mit Süßigkeiten zud e korierten Absperrung, stand ein fleischiger j unger Typ, das monströse Zigarettenregal im Rücken.
Der Kassierer sah mich schweigend an.
Über seiner Schulter konnte ich die Videomonitore sehen, die in ständig wechselnder Perspektive Film - Noir-Bilder des A u ßengeländes zeigten, welches so betrachtet sehr viel unwirtl i cher wirkte.
»Abend«, sagte ich.
Keine Antwort.
Ich blickte auf.
Der pummelige junge Mann sah mir ins Gesicht , ohne mich wirklich anzuschauen. Seine gesamte Ausstrahlung hatte die Lebendigkeit eines Pappkameraden, jener zweidimensionalen, lebensgroßen Aufstellpolizisten, die platziert wurden, wenn ein Straßenschild nicht penetrant genug war.
»Einmal Jack Daniels.« Ich stellte die Flasche vorsichtig vor ihn hin.
Die Augen des Kerls bewegten sich langsam Richtung Flasche und fixierten sie.
Seine Lippen bewegten sich, und ich konnte Zahnpastareste in seinen Mundwinkeln ausmachen, aber es kam kein Wort. Auf dem Schild an seinem blau-gelben Poloshirt stand »Frank P.«, und es war ein bisschen sehr schräg angesteckt, so das s ich den Kopf leicht drehen musste, um es lesen zu können.
Er starrte einfach ins Leere, ohne dabei irgend etwas S pezielles zu fixieren, und sagte nichts. Sein Blick war auf Weitwinkel gestellt. Wenn er etwas sah, war’s nicht in dieser Dimension.
»Äh … Frank , h ör mal ! «, setzte ich an. »Hier. Nur die Flasche.«
Ich kam mir etwas komisch vor, ihn mit Vornamen
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