Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
der Tank stelle der lebenden Toten
Sie war weg.
Ich fühlte mich am Boden zerstört . I nnerlich zerrissen, filetiert, meines Herzens beraubt und betrogen.
Die ganze Palette unangenehmer Gefühle eben, wenn die Liebe deines Lebens inklusive Buena - Vista - Social - Club-CDs und köst licher Unterwäsche die Wohnung verlässt , und zwar mit dem Vorsatz , »Abstand zu gewinnen.«
Noch Fragen?
Es war wie in diesem Lied der »Fantastischen Vier«, nur ohne Stüssy - Pullis und ironischer Betrachtungsweise.
Ich habe keine Probleme damit, zu irgend etwas »Abstand zu gewinnen « , weiß Gott nicht.
Aber wozu benötigen Frauen dann den ganzen Krempel, mit dem sie erst deine Wohnung voll stopfen, um sie »weiblicher« zu machen, inklusive Diddl-Mäusen aus Plüsch und Lebk u chenherzen, auf denen „ Küss mich! “ steht?
Sie hatte alles mitgenommen .
Meine Wohnung – zwei Zimmer, Badewanne, kein Balkon – wirkte nach ihrem Auszug , als wäre ein Feng - Shui-Berater aus der Hölle zu Gast gewesen. Mir fehlten die Diddl-Mäuse, und sie fehlte mir auch.
Abstand. Ein nettes Wort. Sie wollte Abstand und verschwand.
Warum?
Meine Fragen verhallten. Niemand wollte oder konnte sie b e antworten.
Selbst Martin hatte am Telefon gemeint, ich solle »die Schla m pe einfach ziehen lassen«, was ziemlich genau reflektierte, wa r um er Single war . U nd der Rest meiner Freunde kam mir mit der Litanei von Reisenden, die man nicht aufhalten solle, und anderen Müttern, die auch schöne Töchter hätten.
Die Zeit heilt alle Wunden. Schon mal gehört? Ich verfiel in Stil l stand, während ich den Heilprozess abwartete – und litt.
Aber ich fand einen Freund, der mir das alles erträglich machte, in der Übergangszeit, sollte diese jemals enden. Sein Name ist griffig, sein Trost ausgesprochen konkret, seine Kompetenz kaum anzuzweifeln.
Mein Freund Jack Daniels.
Ich wusste, wenn ich zu oft seinen Trost in Anspruch nahm, würde sich irgendwann auch noch mein Freund Harvey, das Riesenkaninchen, dazu gesellen, aber ich konnte nicht aufh ö ren.
Den brennenden Schmerz in meinem Innern verwandelte er in etwas wohltuend W aberndes, für das ich am nächsten Tag n a türlich bitter bezahlte, aber das war es mir wert.
Mein Leben hatte sich gehäutet wie eine Schlange, und was darunter zum Vorschein kam, war nicht einmal so wertvoll wie das Innere eines Überraschungs -E is.
Ich verkehrte durch meinen neuen Lebensstil Tag und Nacht . S chlief bis abends und begann dann unverzüglich, mich selbst zu quälen. Ich war noch einigermaßen jung damals, n eunun d zwanzig, und eigentlich passabel auf dem Fleischmarkt der Singles der Großstadt zu verwerten, aber meine Interessenve r lagerung in Richtung one for my baby and another one for the Road ließ mir seiner z eit keine andere Perspektive, als allein zu sein, nehme ich an.
Der Tag, an dem mein Leben dann in die Waagschale geworfen und der Restwert meiner Existenz bestimmt wurde, begann für mich gegen sechzehn Uhr, als mich Jacks böser Bruder, dieser Mr. Hyde mit seiner Vorliebe für Erbrechen und mahlende Schädelschmerzen, erwachen ließ.
Ich trat auf mein Telefon, als ich das Bett verließ, um mich zu erleichtern. Ich hatte es aus der Wand gerissen, weil nicht ertr a gen konnte, das s es nicht klingelte . E s gab kein Geräusch von sich. Ich schon, da es bestialisch schmerzte. Ich trug noch i m mer das T-Shirt, das ich einige Tage zuvor als angemessen für ein Besäufnis gewählt hatte. Es war kochecht, was meiner Vo r liebe fürs Kotzen zu vorgerückter Stunde sehr entgegenkam . E s wurde langsam Zeit, es tatsächlich mal zu waschen, so wie ich roch. Sehen konnte ich die Ursache des Gestanks nicht, da offensichtlich eine rostige Stahlschraube von der Kinnseite her durch meinen Kopf getrieben worden war, während ich g e schlafen hatte. Meine Augen konnten verschwommen gerad e aus sehen , das war’s.
Ich dümpelte einige Stunden herum, bis ich Hunger bekam, und zwar auf Toast mit Nutella, den ich zentimeterdick b e strich.
Sie hatte das gehasst.
Ich war nicht überrascht, dass sofort ein Sodbrennen meine Kollektion erbärmlicher Leiden komplettierte, gegen das sich das Flammende Inferno wie eine Schachtel Grillanzünder au s nahm.
Der Fernseher lieferte die üblichen Bilder des Schreckens, was mich nicht verwunderte oder störte, aber »Nur die Liebe zählt« gab mir an diesem Abend den Rest.
Demnach musste es ein Samstag gewesen sein, oder?
Ja.
Dieser
Weitere Kostenlose Bücher