Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
gewesen, aber je näher der Abend rückte, desto mehr bangte ich, ob Mr. Daniels mich rein mengenmäßig durch die Nacht bringen würde.
Abends besuchte mich Martin.
»Deine Bude stinkt wie ein Raubtierkäfig, Alter«, bemerkte er beiläufig und sank in einen meiner Sessel. Ich murmelte, die Putzfrau hätte frei, und James würde seinen Dienst im Südfl ü gel des Gebäudes verrichten, Silber abstauben oder so, tut mir Leid.
»Geht’s dir immer noch nicht besser wegen der alten Schla m pe?«, fragte er.
Seine Fürsorge hätte mich noch etwas mehr gerührt, wenn er nicht mit seinem typischen, dreckigen Grinsen gefragt hätte. Sein Wortwahl verstimmte mich darüber hinaus ein wenig.
»Sie ist keine alte Schlampe, Mann. Ich mag’s nicht, wenn du so von ihr redest.«
»Ist klar. D ie liebe Kleine kommt bestimmt in Kürze zurück . «, lächelte er . » H ast d u was zu rauchen?«
Ich konnte mir meine Freunde eben nicht aussuchen, und Ma r tin war ein klarer Schönwetterfreund.
Billard? Klar!
Ein paar Bier trinken gehen, einen draufmachen, Kino?
Martin war dein Mann.
Mit ihm über ernste Probleme reden – spezi ell, wenn’s um Frauen ging? No w ay. Wenn er in diesem Fall bei dir klingelt, gibt’s nur zwei Vorgehensweisen:
A) Dreh die Sicherungen raus, öffne nicht die Tür, leg dich flach auf den Teppich und tu so, als wärst d u tot.
B) Lass ihn rein und stirb wirklich.
Ich schaffte es, das Thema Liebe weiträumig zu umsegeln, wir begannen von F rüher zu reden, und irgendwann ging er los, holte eine Flasche Rotwein (besser als nichts), und wir begaben uns in die tröstlichen Gefilde gemeinsamer Trunkenheit.
Gute Nacht, John B oy.
Dienstag M orgen kam mein Scheck.
Gegen Mitternacht dieses Tages wurde ich wach; ich hatte von ihr geträumt. Ich wuchtete mich im D unklen hoch, orienti e rungslos und ziemlich verwirrt.
Ich brauchte was zu Tr inken.
Ich stand auf, griff mir Geld und machte mich auf den Weg, um eine Audienz beim bernsteinfarbenen König Jack dem X-ten, zu bekommen.
Ich wusste natürlich, wohin ich musste, und steckte mir die s mal mehr Geld ein.
Wieder schritt ich durch die Nacht, während die Tränen troc k neten, das Gefühl, ihr nah gewesen zu sein , aber blieb, und erreichte wenig später die Tankstelle.
Natürlich war sie wieder geöffnet; es schien ein ungeschrieb e nes Gesetz zu sein: »Wanderer, der du hier einkehrst, nimm eine Flasche Jack Daniels mit, oder zwei, man weiß ja nie. Rund um die Uhr für Sie da.«
Das Gelände war wie erwartet hell erleuchtet und mensche n leer, als würde gerade ein Raketenstart vorbereitet. Jetzt fiel mir ein, woran mich die Tankstelle das letzte Mal erinnert hatte: A n eine Klinik, so gleißend, steril und geordnet …
Warum auch nicht? Ich war hier, weil ich spät in der Nacht Hilfe benötigte . D ie Assoziation kam mir tröstlich vor.
Ich trat durch die Glastür und sah sofort, das s jemand anders hinter der Kasse stand. Ebenfalls ein Mann, aber weder der pummelige Zahnpastajunge, noch der Boss des Ganzen.
Ich griff mir etwas tröstliches Marzipan, meine Flasche und einen Beutel fettreduzierter Chips und ging zur Kasse.
Dahinter stand ein schlaksiger, pickeliger Typ mit Dreadlocks, die unter eine Baseballkappe gezwängt waren, soweit ich das aus den Augenwinkeln sehen konnte. Natürlich trug er das bekannte Shirt, aber ich las sein Namensschild nicht.
Diesmal nicht, schwor ich mir.
Ich wollte nur zahlen und zurück ins Bett mit einem sauberen Glas und meiner Traurigkeit, also nickte ich ihm zu, stellte mein Zeug vor ihm hin und sah ihn an.
Seine Haare waren nass.
Sie sahen aus wie zottelige, dicke Teppichfransen, und Wasser tropfte von ihnen und durchnässte den Kragen seines Shirts.
Hatte es geregnet? Dachte ich. Hatte es?
Hatte es nicht.
Er sagte keinen Ton; nur die Kühltruhen summten.
Das Wasser lief ihm auch von der Stirn ins Gesicht; er sah aus, als würde er sich zu Tode schwitzen, und stand einfach da.
»Hallo. Haare gewaschen?«, fragte ich und versuchte zu lächeln.
Es interessierte mich wirklich. Der Besitzer dieser Bude hier schien nicht ganz sauber im Schädel zu sein, nach allem, was sein Personal so ausstrahlte.
»Haare«, sagte der Kassierer.
»Ja. Haare gewaschen? Hm?«
»Haaaaaareeee«, wiederholte er mit weit aufgerissenen Augen, während sich seine Hände langsam meinen Einkäufen näh e r ten.
Ich bekam Angst, oh Mann, und was für welche.
»Scheiße. Was geht hier ab?«, sagte ich reichlich
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