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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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Augen gesehen zu haben. Es hätten Tr ä nen sein können, oder auch nur irgend eine medizinische K u riosität, oder Augentropfen . O der ich hab’s mir schlicht eing e bildet.
    »FRANK?«, brüllte der Mann.
    Der Kassierer drehte sich ruckartig um und starrte den Gra u haarigen an.
    »Geh jetzt besser nach hinten , wir reden später«, sagte der Mann mit einer Stimme, die so gar nicht zu seinem Gebrüll passte.
    »Das wird schon.« Er knuffte den Pummeligen . E ine sehr l e bendige Geste , aber für mich sah es aus, als würde ein Erwac h sener seiner Tochter zuliebe mit ihrem Teddy reden und spi e len.
    Er sah mich wieder mit einem kleinen Lächeln an.
    »Er ist ’ n bisschen schwer von Begriff, aber wie gesagt , er macht seinen Job schon, denk ich mal . « Er sagte das im Tonfall des großen Gönners, Freund aller Menschen, gestört oder nicht.
    Ich hätte damals schon mehr nachhaken sollen. Niemand b e schäftigte geistig Behinderte mitten in der Nacht an einer Tankstelle, Rehabilitationsprogramme hin oder her. Ich hatte zumindest noch nie davon gehört. Sie etwa? Nee.
    Der pummelige Junge stakste durch eine Tür, die neben den Kühlschränken für die Softdrinks offen stand, und durch die wahrscheinlich auch der ältere Mann herein gekommen war. Er brauchte ewig dafür, und ich sah ihm mit einem schwummer i gen Gefühl im Bauch nach.
    Er weiß nicht, wo er ist, dachte ich. Man konnte glauben, das s der Junge behindert war, sicher, aber was für eine Art Behind e rung sollte das sein? Für das Down-Syndrom sah er zu g e wöhnlich aus, und ich glaubte echt nicht, das s er Autist war wie Dustin Hoffman in Rainman . Mich erinnerte er eher an eine Madame - Tussaud-Wachsfigur, die gerne ein Mensch sein wol l te, es aber nicht besonders überzeugend hinbekam.
    »Ja , o k ay . «, sagte der Mann und nahm die Flasche in die Hand. Dann ließ er den Handscanner über das Etikett gleiten, was ein leises Schnieeek ! zur Folge hatte.
    »Einmal Jack Daniels. Guter Geschmack.«
    Er verzog das Gesicht zu einem Ausdruck, den man als Ke n nermine, aber auch als gespielten Ekel interpretieren konnte.
    »Macht Vierzehn Ne unundneunzig.«
    Ich stand wie versteinert vor ihm, bis sein Gesicht einen leicht fordernden Eindruck annahm – die mimische Version einer aufgehaltenen Hand.
    »Vierzehn N eunundneunzig «, wiederholte er etwas lauter.
    »Ach so«, sagte ich und knallte mein Geld auf die kleine Abl a ge. Der Mann war offensichtlich fertig mit mir. Als ich die Tankstelle verließ, drehte ich mich noch mal um.
    Er stand noch immer da, die Hände auf die Kasse gestützt, und lächelte mich durch die Scheibe an, ohne mich aus den Augen zu lassen.
     
    An diesem Abend betrank ich mich ziemlich schnell. Während ich ein Glas nach dem anderen leerte (ich war noch nicht so weit runter, die nackte Flasche an den Hals zu setzen) dachte ich an den pummeligen Kerl, seinen leeren Blick und wie gut es mir doch im Prinzip ging.
    Aber in der Nacht schlief ich nicht besonders; ich träumte von dem rundlichen Gesicht hinter der Kasse und den trockenen Zahncremeresten in seinen Mundwinkeln.
     
    Alpträume – oder Träume, welche verdammt nah an Alpträ u me heran reichen – schienen mir zu bekommen, denn ich e r wachte am nächsten Tag gegen E lf Uhr morgens und fühlte mich gar nicht mal so übel. Der Kopf brummte ein bisschen und ich hatte Sodbrennen, aber auch Appetit, und mir war nach D uschen zumute. Mein Unterbewusstsein schien mein Treffen mit der hölzernen Kassenkraft verdaut zu haben, denn ich erinnere mich, den ganzen Tag, den ich lesend verbrachte, nicht an den merkwürdigen Jungen gedacht zu haben.
    Ich wurde geistig sogar geradezu rege und begann »Moby Dick« zu lesen, obwohl ich das Buch als etwas anstrengend empfand – aber ich wollte mich selbst fordern.
    Die Flasche Jack vom Vorabend war zu zwei Dritteln geleert. Ich konnte sie auf meinem Regal stehen sehen: D ie freakige Version eines Pokals für besondere Verdienste um die Alk o holindustrie.
    In meinem Buch war Käpt ’ n Ahab gerade damit beschäftigt, eine Münze an den Mast zu nageln, als der Gedanke, mich mit Jack zu versorgen, die Überhand gewann. Mir fiel an dieser Stelle des Buch e s auf, das s ich alle paar Zeilen verstohlen zur Flasche rübergeschaut hatte, und mein Hirn war nicht mehr bereit, diesen Umstand unter den Teppich zu kehren. Nicht, da s s ich groß mit mir gerungen hätte, ob ich trinken sollte oder nicht. Der Gedanke war die ganze Zeit da

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