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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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anzuspr e chen, aber vielleicht half es, und ich konnte schlecht Herr P. sagen, oder? Außerdem war er recht jung.
    Er hob in Zeitlupe den Kopf und sah mich an. Ich konnte sehen, das s seine Zunge im Mund arbeitete.
    Weggetreten, der Kerl, dachte ich.
    Diese Studenten. Kommen zur Nachtschicht, schmeißen was ein, und stehen dann wie die Ölgötzen hinterm Tresen. Erde an Kassierer … kommen!
    Das K omische war nur, das s er nicht aussah wie einer dieser kiffenden, Acid werfenden oder koksenden Bafög-Rentner, die meistens an guten Manieren, verwegenem Aussehen und b e trächtlicher Intelligenz zu erkennen waren – von den üblichen, leicht speckigen Jeansklamotten ganz zu schweigen. Das waren zumindest meine Erfahrungswerte, die ich aus einigen FZW- oder Kollegpartys mitgenommen hatte.
    Der pummelige Typ sah aus wie frisch geduscht, frisch g e schrubbt , und von Mutti prima zurecht gemacht. Der Scheitel superkorrekt, das Hemd noch mit den scharfen Falten eines brandneuen Kleidungsstücks, die Finger sauber.
    Er wirkte nur träge – mehr als das.
    Genau genommen wirkte er schwer betäubt.
    Er stand noch immer da, und wenn man ihn genau betrachtete, bemerkte man, das s er leicht schwankte. Nur ein wenig.
    Ich stellte es fest, weil er alle paar Sekunden einen kleinen Teil einer Camel-Reklame hinter seiner bulligen Schulter verdeckte, um sie dann wieder sichtbar zu machen. Er rührte sich noch immer nicht großartig oder machte Anstalten, allmählich mal einen Kassiervorgang einzuleiten. Vielmehr vermittelte er mir den Eindruck, ich sei schlicht nicht da.
    Ich lächelte ihn aufmunternd an. »Huhu … ?«
    Die Sekunden verstrichen.
    Plötzlich schnellte seine fleischige, blitzsaubere Hand vor und stieß die Flasche um. Ich war zwar durchaus nicht der Frisch e ste, weiß Gott nicht, aber ich schnappte sie, bevor sie zu Boden stürzen konnte.
    »Nicht gut drauf, oder was?« Mein Herz pochte; ich war zie m lich kurz davor, sauer zu werden. Aber vielleicht war er auch krank?
    Unterzuckert oder so was.
    Mir gingen eine in diesem Moment eine Menge Möglichkeiten durch den Kopf, aber auf die wirkliche Ursache wäre ich nicht gekommen.
    Er öffnete den Mund.
    »Eaan«, sagte er. Es klang vollkommen emotionslos.
    »Hä?« sagte ich.
    Seine Stimme hob sich zu einem Heulen.
    »EEEAAAAANNN!«
    Ich konnte ihn nur baff anglotzen: er stand steif vor mir, die Hand in der Bewegung eingefroren, jaulte dieses Wort ohne Sinn, und seine Augen ließen jede Vernunft vermissen. Ich konnte gar n ichts in ihnen erkennen und war bestürzt. Diese Situation war nicht einzuschätzen. Der Typ war durchgedreht, und ich sage es nicht gern, aber ich bekam es ein b isschen mit der Angst zu tun.
    »Er möchte den EAN-Code, Kumpel«, hörte ich eine Stimme neben mir.
    Hinter dem Tresen stand plötzlich ein älterer Mann im gleichen Poloshirt, das auch Frank P. trug, und grinste mich an. Ich hatte ihn nicht kommen hören.
    »Du weißt schon, dieser Balkencode auf der Pulle – weg e n dem Preis.«
    Er klopfte dem dicklichen Kassierer auf die Schulter und zog entschuldigend eine Augenbraue hoch.
    Er stand da, ein etwa fünfzig Jahre alter Herr, die Haare grau und kurz geschnitten, das Gesicht sonnengebräunt. Er sah aus wie ein zufriedener Mann, der Fünfe gerade sein lassen konnte. Dabei besaß er diese leichte Seriosität, die locker wirkt statt spießig. Sein Lächeln wirkte echt. Man hatte das Ge fühl eines freundschaftlichen Dé ja - Vu, das sich einstellt, wenn man j e manden kennen lernt, der so ähnlich ist wie ein bereits bekan n ter Mensch, den man mag – aber trotzdem, dachte ich, trot z dem …
    »Du musst schon entschuldigen«, sagte er, »aber unserm Freund hier geht’s noch nicht so gut von der Hand. Ist seine erste Schicht.«
    Ich mochte ihn auf Anhieb nicht; ich fand, er sprach nachlässig und schroff – wie einer dieser Kerle, die Moderationen am Autoskooter einer Kleinstadtkirmes machen. Er machte mich unsicher. Außerdem duzte er mich.
    »Hallo«, nickte ich zurück, »ist der krank oder was? Wirkt nicht besonders fit.«
    »Im Gegenteil. Ich nehme an, er hat sich nie besser gefühlt«, erwiderte der Mann.
    Ich senkte meine Stimme. »Ist er … nun … ähm … behi n dert?«
    »Ja, gewissermaßen. Ein bisschen außer Rand und Band. Ein bisschen müde. Aber fit genug – stimmt’s, Frank?«
    Frank reagierte überhaupt nicht. Er sah mich nur an. Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich meinte, damals eine gewisse Feuchtigkeit in seinen

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