Hände weg vom Abendschatten!
und lief zum Gartentor. Auf der sonnenhellen Straße war niemand zu sehen. Ein Auto fuhr vorbei, am Steuer saß eine junge Frau. Im Haus gegenüber schaute ein alter Mann aus einem Fenster im ersten Stock. Markus befahl Theodor, unter den Rosenbüschen zu warten, öffnete das Gartentor, überquerte die Straße und winkte zum Fenster hinauf. „Haben Sie was gesehen?“
„Was soll ich gesehen haben?“
„Da hat jemand einen Erdklumpen auf unsere Terrasse geworfen.“
„Einen Erdklumpen, so, so.“
„Einen schweren Lehmbrocken“, sagte Markus.
„Lehm wie von der Bornheimer Höhe?“, fragte der Mann. „Das wird dann schon einen Grund haben...“
„Sie haben niemanden gesehen, der hier kurz stehen geblieben ist? Einen Motorradfahrer, einen Radfahrer?“
„Vielleicht einen Radfahrer“, sagte der alte Mann zögernd. „Aber wie der ausgesehen hat, weiß ich nicht.“
„Der Brocken hätte den Hund verletzen können“, sagte Markus.
„Hätte wohl sollen“, sagte der Mann. „Hätte wohl.“ Mit einem Ruck schloss er das Fenster.
Markus lief in den Garten seiner Tante zurück und ging mit Theodor ins Haus. „Tante Mona, wer ist denn der alte Mann, der dir gegenüber im ersten Stock wohnt?“
„Brille, schütteres Haar, dichte weiße Augenbrauen?“
„Ja. Wer ist das?“
„Och, der Herr Stenner . Ein Pensionist, völlig unauffällig. Einer von denen, die noch im Alten Steinbruch gearbeitet haben.“
„Aha. — Wo gibt’s in diesem Haushalt Besen und Mistschaufel? Ich muss auf der vorderen Terrasse was kehren.“
Später, als die Sonne schon sehr tief stand und Marie-Theres endlich zum Stadtfest aufgebrochen war — frisch und sauber und mit einem Hauch Himmelblau aus Tante Monas alten Beständen auf ihren Lidern — , erzählte Markus doch noch von dem missglückten Attentat auf Theodor. Gemeinsam umrundeten sie das Haus, sperrten Gartentor und Haustür ab und kontrollierten die Sperrvorrichtungen der Fenster.
„Wir könnten im Wohnzimmer Licht brennen lassen“, schlug Tante Mona vor. „Vielleicht fühlst du dich dann besser?“ Markus nickte. Licht im Wohnzimmer würde einen eventuellen nächtlichen Besucher vermutlich abschrecken. „Warum vermietest du die kleine Wohnung im Dachgeschoß nicht?“, fragte er. „Dann wärst du nicht so allein im Haus.“
„Oh, die habe ich ja vermietet! An ein Studentenpaar. Er studiert Sprachen, sie wird Tierärztin. Nette junge Leute, die auch mal mit anpacken. In zwei Tagen kommen sie aus den Ferien zurück. Bis dahin müssen wir unsere Festung noch allein verteidigen.“
„Nicht, dass du glaubst, ich hätte jetzt Angst, nach all dem“, sagte Markus mit matter Stimme. „Es ist nur so ein eigentümliches Gefühl...“
Tante Mona sah ihn lange an. „Es ist das Gefühl, das der heilige Georg hatte, bevor er es ihm gelang, den Drachen zum Aufgeben zu zwingen... Es ist das Gefühl, gegen eine Übermacht zu kämpfen. Noch dazu sind wir nicht heilig. Wir haben weder Rüstung noch Schwert, nur unseren gesunden Menschenverstand. Und den werden wir jetzt verwenden, um für uns selber was zu tun. Hast du schon einmal Thunfischnockerl auf Blattspinat mit Olivenöl und einem Hauch Knoblauch zubereitet? Nein? Dann auf in die Küche! — Oh, Theodor, was hast du da?“
Theodor wedelte heftig. Er hatte ein Blatt Papier in der Schnauze und legte es Markus vor die Füße. Es war der Brief an Chiara, den Markus auf der Terrasse vergessen hatte. Der Brief war nur wenig zerknittert. Markus beschloss, noch an diesem Abend eine Fortsetzung zu schreiben. Er wollte sowieso aufbleiben, sich hinter den Jalousien auf Lauer legen und den Vorgarten nicht aus den Augen lassen. Als er aber nach dem Abendessen in sein Zimmer kam und auf dem frisch aufgeschüttelten Kopfkissen den Krimi samt Betthupferl vorfand, konnte er der Verlockung nicht widerstehen. Er zog sich aus, schlüpfte unter die Decke und las noch zwei, drei beruhigende Seiten, die von schlauen Kindern und ihrem Erfolg bei der Aufdeckung einer Diamantenfälscherbande berichteten. Dann fielen ihm die Augen zu.
„Wo bleibt er denn?“, fragte Marie-Theres am nächsten Vormittag, als sie zu dritt ein Gabelfrühstück für vier Personen verdrückt hatten. Sie meinte Michi, der noch immer nicht aufgetaucht war. Gegen halb elf winselte Theodor, dann läutete das Telefon. Tante Mona horchte lange zu, murmelte etwas wie „Ich verstehe Sie, ja!“ und kam mit roten Flecken im Gesicht an den Tisch
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