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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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über ihren Köpfen zerplatzte.
    »Sollen wir nicht besser hineingehen?«, fragte sie.
    Furcht lag in ihrem Blick.
    Sebastian legte ihr einen Arm um die Schultern. »Ich mag diesen besonderen Augenblick, bevor es richtig losgeht. Lass uns warten, bis der Regen hier ist, ja?«
    »Hast du keine Angst vor Gewittern?«
    »Doch. Aber ich fürchte mich weniger, wenn ich sie sehe. Wenn es nachts gewittert, ziehe ich immer die Vorhänge beiseite, damit ich die Blitze sehen kann.«
    Saskia schauderte es, auf ihren nackten Unterarmen entstand Gänsehaut. »Ich verkrieche mich lieber unter die Bettdecke.«

    »Unter der Bettdecke fürchte ich mich zu Tode. Da bekomme ich schnell Asthmaanfälle.«
    Sebastian erzählte ihr von dem Blitzeinschlag während seiner Kindheit. Von der Feuerzunge aus der Steckdose und dem Knistern in der Luft. Dass er ins Bett gemacht hatte, weil er sich vor dem Riesen gefürchtet hatte, verschwieg er.
    Nach und nach wurde es so dunkel wie zur Nacht. Die Wälder, das Dorf, das ganze Tal verschwand. Einmal mehr wurde der Schneiderhof zu einer losgelösten Welt. Dann waren die Wolken da! Die ersten schweren, warmen Regentropfen platschten in den Staub des Hofes und polterten aufs Dach des Stallgebäudes.
    Plötzlich sprang Saskia auf.
    »Komm!«, rief sie und zog ihn mit ins Haus. Hinter ihnen wechselten Blitz und Donner immer schneller, der Regen steigerte sich, der Wind brauste auf, die Welt, so schien es, versank im Inferno.
     
    Der Regen prasselte mit einer solchen Wucht auf den Wagen, dass der Lärm kaum zu ertragen war. Eine Unterhaltung wäre in diesem Moment nicht mehr möglich gewesen, was aber keine Rolle spielte, da Derwitz allein unterwegs war. Er hatte keinen Sinn darin gesehen, auf die Meldung eines Diebstahls hin, bei der es eine vage Verbindung zu Ellie Brock geben konnte, die Pferde scheu zu machen. Lieber erst mal allein nachschauen. Das sicherte schließlich Ruhm und Anerkennung, wenn es zu etwas führte.
    Er starrte die Windschutzscheibe an und konnte nicht fassen, in welchen Mengen das Regenwasser daran herunterströmte. Ein Wasserfall war ein Scheiß dagegen! Nichts war mehr zu sehen von der Umwelt. Der Wagen hätte
ebenso gut auf dem Mond stehen können. Mit dem Regen war es schlagartig kühl geworden im Wageninneren. Hatte er zuvor noch die schwüle Wärme verflucht und die Klimaanlage bis zum Äußersten gequält, so stellte er jetzt die Heizung an, weil er fror. Dabei fiel ihm auf, dass er den Motor genauso wenig hörte wie das Rauschen der Lüftungsanlage.
    Mist! Den Weg hier heraus hätte er sich bei dem Wetter sparen können. Er würde den Regen, der in dieser Stärke nicht lange so weitergehen konnte, abwarten und sich dann trotzdem umsehen, aber den Einsatz eines Hundes konnte er schon jetzt vergessen. Nach dieser Sintflut gab es keinerlei Fährte mehr.
    Derwitz seufzte und breitete noch einmal die Landkarte vor sich auf dem Lenkrad aus. Jenen Bereich, der ihn interessierte, hatte er mittels eines Zirkels eingekreist. Zwischen dem Haus der alten Kreiling und der Bäckerei, auf deren halb überflutetem Parkplatz er jetzt stand, lagen siebzehn Kilometer Luftlinie. Diese führten aber durch Wälder, die teilweise unzugänglich waren und starke Höhenunterschiede aufwiesen. Folgte man der kürzesten Straßenverbindung, was Ellie Brock nicht getan haben konnte, waren es sogar fünfundzwanzig Kilometer, da die Bundesstraße einen weiten Bogen um den Adlerrücken und seine Anhöhen machte. Zwischen dieser Bäckerei und dem Schneiderhof lagen zehn Kilometer Luftlinie, ebenfalls durch Wälder, ebenfalls durch Höhen und Tiefen. Alles andere als ein Areal, das er einer Frau wie Ellie Brock zutraute. Aber vieles, was sie bislang getan hatte, hätte er ihr nicht zugetraut. Diese Frau entsprach nicht den üblichen Maßstäben, deshalb durfte er auch nicht den Fehler machen, diese hier anzuwenden.

    Eines wusste Derwitz sicher: Sie hockte irgendwo in diesen Wäldern und wartete auf ihre Chance. Sie war geduldig und ausdauernd, und wenn sie wirklich hier Brot und Kuchen geklaut hatte, dann wusste sie, wo sie Nahrung bekam, und würde wiederkommen. Eine Möglichkeit war natürlich, ihr hier aufzulauern. Eine andere, ihrer Spur zu folgen – aber die löste sich gerade auf.
    »Verdammter Regen«, fluchte Derwitz und schlug aufs Lenkrad.
    Im selben Augenblick ließ die Sintflut nach. Die Geräuschkulisse wurde erträglicher, und nach wenigen Minuten konnte er bereits wieder etwas sehen. War

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