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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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das zu glauben!
    Derwitz wurde wieder optimistischer. Vielleicht gab es ja doch noch eine Chance. Fragen konnte er zumindest. Er griff zum Autotelefon. Nach dem dritten Läuten meldete sich Oberkommissar Triefbach, der als Ausbildungsleiter der Suchhundestaffel tätig war. Sie hatten schon einige Male zusammengearbeitet. Derwitz erklärte ihm die Lage.
    »Wie alt ist die Spur?«, fragte Triefbach.
    »Nicht älter als zehn Stunden. Aber es hat, wie gesagt, gerade wie aus Eimern geschüttet. Gibt es da überhaupt noch eine Chance?«
    »Für Fährtenhunde, die sich am Individualgeruch des Menschen orientieren, nicht. Aber du suchst ja keine bestimmte Person, habe ich das richtig verstanden?«
    »Natürlich suche ich eine bestimmte Person, aber es würde mir schon helfen, wenn ich wüsste, in welche Richtung sie sich bewegt hat. Besser wäre noch, der Hund führt mich direkt zu ihrem Aufenthaltsort.«
    »Und die Fährte befindet sich in unbefestigtem Gelände.«
    »Im Wald, ja.«

    »Vielleicht hast du Glück. Ich habe hier seit zwei Wochen einen Bloodhound, der während seiner Ausbildung versuchsweise ausschließlich auf Bodenverletzungen konditioniert wurde.«
    »Auf Bodenverletzungen?«
    »Okay, kurze Einweisung: Jeder Fußtritt zerstört die Bodenoberfläche und Vegetation, darüber hinaus aber auch im Boden befindliche Mikroorganismen, die nach zirka dreißig Minuten in einen Fäulnisprozess übergehen und einen fährtenspezifischen Geruch hinterlassen. Das funktioniert natürlich nur in unbefestigtem Gelände. Das Schöne an diesen Fährten ist, sie bleiben nah am Boden, werden nicht durch Wind fortgetragen und können, je nach Intensität, auch Regen trotzen. Weißt du, wie schwer die Person ist, die die Fährte gelegt hat?«
    »Was spielt das Gewicht für eine Rolle?«
    »Bei einer solchen Fährte spielen auch die Sekundärgerüche der Bodenstruktur eine Rolle, die nach mechanischer Verdichtung individuelle Geruchsbilder entwickeln. Je höher die Verdichtung, desto eigentümlicher die Fährte. Also mit anderen Worten: Je schwerer der Verdächtige, desto größer die Chance, dass mein Hund was findet.«
    Derwitz grinste. »Die Person wiegt ungefähr drei Zentner.«
    »Wie bitte?«
    »Hast schon richtig gehört. Einen fetteren Menschen habe ich noch nie gesehen.«
    »Bleib, wo du bist. Ich schnapp mir Buster und bin in zwanzig Minuten bei dir.«
     
    Sie waren vor dem Regen ins Wohnzimmer geflüchtet. Sebastian hatte die Gardine vor dem großen Fenster zurückgezogen,
das Fenster gekippt und sich dann neben Saskia auf die Couch fallen lassen. Der Ausblick war nicht so grandios wie von der Bank vor dem Haus, da sie nur einen kleinen Teil der Talsenke sehen konnten, aber der starke Regen und der schwarze Himmel ließen jetzt ohnehin keinen Weitblick mehr zu. Als die Unwetterfront den Schneiderhof erreichte, war es, als zöge jemand einen Vorhang vor die Welt.
    Nachdem sie ein paar Minuten schweigend nebeneinander gesessen hatten, legte Saskia sich auf die Couch, bettete ihren Kopf in seinen Schoß und zog die Beine nah an ihren Körper. Sebastian legte ihr einen Arm um die Schulter.
    Als nach zehn Minuten der Regen nachließ und der Lärm abflaute, wurden Saskias Atemzüge immer gleichmäßiger und ruhiger. Sebastian war schon überzeugt, sie sei eingeschlafen, als ihre ersten, unvermittelten Worte ihn wie ein Blitzschlag trafen. Sie räusperte sich nicht, holte vorher nicht Atem, sondern sagte einfach:
    »Es wird nie wieder wie vorher, oder?«
    Sebastian war davon völlig überrascht. Und auch wenn er eigentlich keine Antwort darauf wusste, versuchte er trotzdem, ihr eine zu geben: »Nein. Es wird niemals wieder wie vorher, wie sollte es auch? Aber wir werden damit fertig werden. Überall auf der Welt erleben Menschen tagtäglich schwere Schicksalsschläge und werden trotzdem wieder glücklich. Wir können das auch.«
    »Aber manche Menschen kommen niemals darüber hinweg«, sagte Saskia mit tonloser Stimme.
    Sie lag noch immer auf seinem Schoß, sodass er ihr Gesicht nicht sehen konnte.
    »So darfst du nicht denken! Wir haben doch uns beide,
und wenn wir zusammenhalten, schaffen wir es. Ganz bestimmt!«
    Jetzt drehte Saskia sich, bis sie ihn ansehen konnte. Sie hatte nicht geweint, aber ihre Augen waren feucht, die Pupillen glasig. Trotzdem wirkten sie nicht so entrückt, wie es in den letzten Tagen oft der Fall gewesen war. War vielleicht ein kleines bisschen Hoffnung zurückgekehrt?
    »Und das willst du wirklich?

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