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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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betont langsam auf.
    »Ich melde mich«, sagte er und verließ grußlos die Küche.
    Sebastian stand hinter dem Küchenfenster und beobachtete die Abfahrt des Kommissars. Als er fort war, wurde es sehr still auf dem Hof, und zum ersten Mal seit vierzehn Tagen spürte Sebastian die Einsamkeit wieder, die er an diesem Ort schon immer geschätzt und manchmal auch gefürchtet hatte. Doch als er jetzt zu den Ställen ging, empfand er keine Furcht. Stattdessen fühlte er sich befreit. Was auch immer passieren würde, er würde es überstehen.

Donnerstag
    Der weite Himmel über dem Tal war von einem schmutziggrauen Vlies überzogen. Nichts war mehr übrig von dem marmorierten Blau-weiß des frühen Morgens. Seit Stefanies Beerdigung vor zwei Tagen war die Temperatur jeden Tag höher gestiegen und hatte jetzt die 30-Grad-Marke überschritten. Die Luftfeuchtigkeit war unerträglich. Als Sebastian und Saskia nach ihrem täglichen Besuch bei Uwe und Anna im Krankenhaus auf dem Schneiderhof ankamen, klebten ihnen die dünnen T-Shirts am Rücken. Froh, das Auto verlassen zu können, gingen sie zur äußeren Koppel hinaus. Dort wehte ein leichter Wind, der ihre erhitzten Gesichter etwas abkühlte. Deutlich spürbar lag etwas Unheilvolles in der Luft. Die Pferde waren nicht wie üblich mit Fressen beschäftigt, sondern standen dicht beieinander, hielten die Ohren angelegt und wirkten nervös.
    Saskia hatte einen Arm um Sebastians Taille gelegt. Eng an ihn gepresst ließ sie ihren Blick über den Himmel gleiten. Trotz der Schwüle waren noch keine Quellwolken zu sehen, nur dieser dunkle Teppich. Als wolle der Himmel das Unwetter hinter einem Vorhang verbergen, um dann mit einem Überraschungsangriff zuzuschlagen.
    »Es gibt ein Gewitter, oder?«, fragte sie.
    »Ich denke schon. Wir bringen die Pferde besser in den Stall«, sagte Sebastian mit zum Himmel gerichtetem Blick.
    Saskia bot ihm ihre Hilfe an, aber leider waren die Tiere sehr nervös, tänzelten hin und her, blähten die Nüstern auf
und gebärdeten sich zickig. Daher ließ Sebastian sie nur Falco in den Stall führen. Der Wallach kannte sie bereits und gebärdete sich lange nicht so aufgeregt wie die jüngeren Tiere. Saskia sprach mit ihm, tätschelte seinen muskulösen, warmen Hals und sog den intensiven Geruch des Tieres tief ein. Sebastian kümmerte sich um die restlichen Pferde, führte sie in den Stall und sperrte sie in die Boxen. Danach schloss er mit Saskias Hilfe alle Fenster und Türen; sie hatten wegen der schwülen Luft aufgestanden, um für Durchzug im Stall und in der Scheune zu sorgen.
    Später saß Saskia verschwitzt auf der Holzbank neben den Stufen zur Haustür und beobachtete Sebastian dabei, wie er mit einem Wasserschlauch die Steintröge auf der vorderen Koppel auswusch und füllte. Er arbeitete mit freiem Oberkörper und ließ sich das Wasser ein paarmal über Kopf, Rücken und Brust laufen. Dabei wirkte er unverschämt lebendig und gesund. Sie selbst fühlte sich ausgelaugt und matt. Die drückende Luft machte ihr zusätzlich zu schaffen, vor allem aber diese lethargische Energielosigkeit, die sie seit dem Krankenhausaufenthalt lähmte und ihre Glieder unsäglich schwer und unbeweglich werden ließ. Sie hätte die Tabletten, vor denen die Schwester sie gewarnt hatte ( Niemals mehr als eine, niemals, egal, wie Sie sich fühlen! ), absetzen können, fürchtete sich aber davor. Noch traute sie sich nicht, ihre Gedankenwelt sich selbst zu überlassen. Sie im Zaum zu halten, ihr wenigstens mittels Chemie ein wenig heile Welt vorzugaukeln war vielleicht das Einzige, was sie in diesen Tagen aufrechthielt.
    Die Tabletten besorgten das Verdrängen, eine andere Stelle an ihrem Körper hielt aber tapfer dagegen und mühte sich redlich, die Erinnerung wachzuhalten. Dieses unangenehme
Pochen an jener Stelle, an der sich ihr kleiner Finger befunden hatte. Dagegen halfen nicht einmal die Schmerztabletten. Ein wenig Bewegung, die feuchte Luft, und der Stumpf schien sie umbringen zu wollen. Dieses Pochen schlich von der Hand über den Arm in den ganzen Körper, vor allem aber in den Kopf, wo es ein zähes Echo hervorrief. Abends, kurz vor dem Einschlafen, war es kaum auszuhalten. Dann wurde die Erinnerung übermächtig, dann kamen die Bilder, das Zimmer, die riesige Frau, der gewaltige Rücken, der sie gegen die Wand quetschte … nein, lieber nahm sie weiterhin die Medikamente, bis das Pochen irgendwann verschwinden würde. Und sollte sie süchtig werden, dann war

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