Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein
den Wald, wechselte dabei ständig von
rechts nach links, was, wie Triefbach Derwitz erklärte, damit zu tun hatte, dass Gerüche sich fadenförmig verteilten und zusätzlich vom Wind aus der ursprünglichen Spur getragen wurden.
Triefbach hatte Buster an der Leine, Derwitz folgte den beiden. Sie legten ein gutes Tempo vor, das Derwitz nicht lange durchgestanden hätte, wenn der Hund nicht immer wieder längere Zeit an einer Stelle nach der Fährte gesucht hätte. Das Gelände wurde schwieriger. Seit einiger Zeit ging es bergan, zuerst sanft, dann immer steiler. Das Unterholz wurde dichter. Sie konnten dem nicht allzu großen Hund nicht immer überallhin direkt folgen, mussten ihn von der Spur abziehen und kleine Umwege in Kauf nehmen, nach denen Buster erst umständlich wieder nach der Fährte suchte. Derwitz und Triefbach trugen Regenjacken, hatten aber die Kapuzen längst abgesetzt und die Reißverschlüsse geöffnet, da sie schwitzten. Noch immer pladderten dicke Tropfen von den Bäumen auf ihre Köpfe, was Derwitz mittlerweile aber als angenehm, weil kühlend empfand.
Wie weit war Ellie Brock in den Wald hineingelaufen? Wie lange konnten sie dieser Fährte noch folgen? Es wurde bald dunkel. Eigentlich war es nach dem Gewitter gar nicht wieder richtig hell geworden, doch das wenige Licht hatte bisher gereicht, um sich durch den Wald zu schlagen. Aber nicht mehr lange, dann würden sie die Taschenlampen einschalten müssen.
Während Derwitz keuchend Buster und Triefbach folgte, rasten seine Gedanken. Was er hier tat, wurde zunehmend leichtsinnig. Sollte etwas passieren, würde man ihn zur Rechenschaft ziehen. Er hätte Verstärkung anfordern müssen, was aber einen weiteren Zeitverlust bedeutet hätte. Sollten
sie Ellies Versteck finden, konnte er das noch nachholen. Sie zu finden war eine Sache, sie festzunehmen eine andere. Das sollte dann ruhig das MEK machen. Aber er wollte sich auch nicht blamieren, indem er eine Sondereinheit ins Versteck eines Landstreichers führte!
Scheiße auch! Verfluchtes Gewitter! Das hatte ihn mindestens eine Stunde gekostet. Bei Dunkelheit durch den Wald zu laufen war Wahnsinn. Bei jedem weiteren Schritt sagte sich Derwitz, dass er abbrechen musste. Gleichzeitig war da aber noch die andere Stimme. Ein paar Minuten nur noch. Nur noch bis zu diesem Baum dort, noch eben hinter diese Anhöhe schauen.
Triefbach hatte ihm anfangs erklärt, dass sie die Fährte morgen wohl nicht mehr finden würden. Sie war dann zu alt, und die Witterungseinflüsse trugen das ihrige dazu bei, sie verschwinden zu lassen. Dann war sie auch für Busters feine trainierte Nase nicht mehr zu »sehen«. Sollte diese Fährte wirklich von Ellie Brock stammen, war das hier und jetzt ihre einzige Chance. Morgen schon würde er Hundertschaften und Hubschrauber schicken müssen, und ein solches Aufgebot würde sie ohne Frage vertreiben.
Verdammtes Gewitter!
Du musst abbrechen!
Ein paar Meter noch. Wenn wir die Kuppe dieser Anhöhe erreicht haben und dahinter nichts sein sollte, breche ich ab!
Derwitz warf einen schnellen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk. Es war zu dunkel geworden, er konnte sie nicht mehr ablesen. Wie lange waren sie jetzt unterwegs? Eine knappe Stunde? Länger sicher nicht, auch wenn er sich fühlte, als liefe er bereits seit Tagen durch diesen verfluchten Wald. Der Stoff seiner Jeans klebte nass
und kalt an seinem Schienbein. Ebenso fühlte sich sein Haar an. Nein, es hatte wirklich keinen Sinn mehr.
Buster und Triefbach erreichten den Kamm der Anhöhe als Erste und blieben stehen. Derwitz schloss zu ihnen auf. Mit dem Anblick, der sich ihm bot, hatte er nicht gerechnet. Erwartet hatte er eine Senke, dann wieder eine Steigung, Bäume, Büsche, Unterholz, so wie die ganze Zeit schon. Zu sehen bekam er eine weite Ebene, die groß und dunkel zwischen den Wäldern lag.
»Ein See!«, sagte Triefbach.
»Das sehe ich.«
»Und jetzt?«
Derwitz brauchte ein paar Minuten, bis sich seine Atmung beruhigt hatte. Währenddessen blickte er über die weite Fläche vor sich. Erhofft hatte er sich eine kleine Holzhütte tief im Wald, in der Licht brannte und in der er Ellie Brock finden würde. Wie meistens war das Leben aber nicht so einfach. Der Wald erschien unendlich, gerade jetzt, wo er immer schwärzer und schwärzer wurde. Vor ihren Augen verschwand auch noch das letzte bisschen Tageslicht. Sie hatten starke Taschenlampen, sicher, aber zwei Männer und ein Hund waren nicht genug für ein so
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