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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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schnaufend zog Ellie Brock jetzt ihren Sohn hinter sich her. Sie hatte den scheinbar leblosen Sebastian unter den Achseln gepackt. Alles, was Saskia von ihm sehen konnte, waren seine Beine und ein Stück des Beckens. Aber er war es! Er war nackt bis auf seine Boxershorts, seine Beine vom Matsch verdreckt.
    Langsam, und ohne die unwirkliche Szene dort draußen aus den Augen zu verlieren, zog Saskia sich in Richtung der Treppe zurück. Als sie wegen des Schranks die Haustür nicht mehr sehen konnte, drehte sie sich um und huschte auf nackten Sohlen nahezu geräuschlos die Stufen in die Dunkelheit des oberen Flurs hinauf. Dabei rasten ihre Gedanken.
    Sie musste Sebastian helfen, musste etwas tun! Sie durfte sich hier nicht verstecken, denn dann würden sie beide sterben!
    Uwe! Sie musste Uwe Hötzner anrufen!
    Aber der lag noch immer im Krankenhaus. Wie lange würde es dauern, bis er mitten in der Nacht jemanden aktiviert hatte, der ihnen half? Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Wie lange auch immer, es würde viel zu spät sein. Trotzdem musste sie ihn anrufen. Vielleicht konnte sie das Unvermeidliche ja so lange herauszögern, bis die Polizei auf dem Hof eintraf.

    Saskia hörte, wie Ellie Brock sich abmühte, Sebastian die vier Stufen zur Eingangstür hinaufzuschleifen. Sie war beinahe im Haus.
    Keine Panik! Du darfst nicht in Panik geraten! Er ist ganz sicher nicht tot, nur bewusstlos, und wenn du ihm helfen willst, wenn du das hier selbst lebendig überstehen willst, dann darfst du auf keinen Fall in Panik verfallen.
    Es war schwer, so verflucht schwer. Alles in ihr wollte fliehen, aus dem Fenster springen, in den Wald flüchten, weg, nur weg. Doch dann wäre Sebastian dieser Frau hilflos ausgeliefert.
    Saskia drehte sich auf dem oberen Flur im Kreis und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Wo hatte sie ihr Handy gelassen? Darin hatte sie noch im Krankenhaus Uwe Hötzners Nummer abgespeichert. Sie hatte ihm hoch und heilig schwören müssen, ihn anzurufen, wenn etwas sein sollte. Wo war das blöde Ding? Im Bad! Richtig, im unteren Bad! So wie auch Sebastian hatte sie ihr Handy vor dem gemeinsamen Duschen auf dem Stapel frischer Handtücher abgelegt.
    Aber hier oben gab es doch auch ein Telefon!
    Saskia lief zu Sebastians Wohnzimmer hinüber, drückte die Tür auf, huschte hinein und schloss die Tür wieder. Erst dann machte sie Licht. Im selben Moment waren von unten polternde Geräusche zu hören. Ellie Brock war im Flur! Fieberhaft sah Saskia sich um. Auf dem großen Computerschreibtisch befand sich ein Telefon. Sie blieb davor stehen, starrte es an, presste ihre Faust gegen die Zähne und durchforstete ihr Gedächtnis nach Uwe Hötzners Nummer. Für Zahlen hatte sie schon immer etwas übrig gehabt, hatte sich seit jeher Geburtstage, Telefonnummern, Pins und Geheimzahlen problemlos merken können. Uwes Nummer
war leicht zu merken gewesen, daran erinnerte sie sich. Aber wie hatte sie gelautet?
    Ihr Kopf weigerte sich. Alles schien durcheinander zu sein. Die Panik rückte wieder ein Stück näher.
    Mit zitternden Finger gab Saskia auf dem Tastaturfeld eine Nummer ein. Sie wartete, bis durchgewählt war, lauschte, hoffte, hörte aber nur, dass diese Nummer nicht vergeben war.
    Verflucht! Verflucht, verflucht, verflucht!
    Erneut heftiges Poltern auf dem unteren Flur. Dann sprach jemand. Sie unterhielten sich. War Sebastian etwa bei Bewusstsein? Was tat sich da unten? Hin und her gerissen blickte Saskia vom Telefon zur Tür. Nein, es war sinnlos. Die Nummer fiel ihr nicht ein. Im wichtigsten Moment ihres Lebens ließ ihr Zahlengedächtnis sie im Stich. Saskia ließ den Hörer fallen, ging zur Tür, öffnete sie und schlüpfte auf den dunklen Gang hinaus. Dort hörte sie es deutlicher. Worte. Aber das war nicht Sebastians Stimme.
    »… wieder zusammen, endlich. Mein kleiner Hans, mein Hänschen klein, hast du dich nicht auch so sehr danach gesehnt?«
    Keine Antwort von Sebastian. Hatte sie ihn geknebelt, oder war er noch bewusstlos, und sie führte Selbstgespräche? Saskia musste es unbedingt wissen. Sie schlich zum Treppenabsatz. Dort ließ sie sich auf die Knie nieder, robbte noch ein Stück vor und spähte durch die gedrechselten Pfosten hinunter in den unteren Flur.
    Sebastian lag ausgestreckt auf dem Flur. Ellie Brock hatte seine Hände und Füße gefesselt, hockte über ihn gebeugt da und strich ihm mit einer zärtlichen Bewegung die Haare aus der Stirn. Saskia blickte direkt auf ihren gewaltigen Rücken,

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