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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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geschrieben hatte, würde sie es tun.
    Wer sollte sie aufhalten?
     
    Die Krankenschwester setzte sich neben ihn auf die Couch, dabei rutschte ihr Kittel ein wenig nach oben, und es war eben dieses sanfte Rascheln, das Sebastian Schneider aus seiner Trance riss. Vielleicht hatte sie mit ihm gesprochen, er wusste es nicht, aber sie hielt ihm in ihrer geöffneten Handfläche zwei kleine weiße Pillen entgegen.
    »Dr. Stühring meint, Sie sollten die nehmen, dann ginge es Ihnen besser.«
    Eine angenehme Stimme, nicht drängelnd und befehlend, sondern warm und voller Mitgefühl. Sebastian starrte sie an, nahm aber die Pillen nicht aus ihrer Hand.
    »Es ist ein leichtes Beruhigungsmittel. Sie werden sich damit wirklich besser fühlen.«
    Besser fühlen? War das möglich? Was vermochte so ein Medikament in ihm zu verändern? War es in der Lage, ihn diesen Anblick vergessen zu lassen? Der blutige Oberkörper seiner Mutter, den er trotz aller Vorsicht der Sanitäter doch kurz gesehen hatte, ihr blutverkrustetes Haar, die hässlichen Wunden im Gesicht. Konnten diese kleinen Pillen ein Wunder vollbringen?
    Die Schwester brachte ein aufmunterndes Lächeln zustande. Ein warmes Lächeln, und doch erreichte es ihre Augen nicht wirklich, zu viel Mitleid und Trauer waren darin. Sebastian griff nach den beiden Pillen und warf sie sich in den Mund. Die Schwester reichte ihm ein Glas Wasser,
und er spülte die Pillen mit dem gesamten Inhalt hinunter.
    »Es dauert nur ein paar Minuten … Sie werden sehen.«
    Sebastian schloss die Augen, weil er das Gefühl hatte, die Tabletten seien trotz des Wassers in seinem Hals stecken geblieben.
    »Wann …«, krächzte er und räusperte sich, »wann kann ich zu meiner Mutter?«
    Die Schwester legte ihre warme Hand auf seinen Unterarm.
    »Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Dr. Stühring wird Sie informieren, sobald er kann. Versprochen.«
    Sebastian nickte schwerfällig. »Gut … gut.«
    »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
    »Nein … danke.«
    »Okay. Wenn Sie müde werden, legen Sie sich ruhig hin. Ich kann Ihnen auch eine Decke bringen. Falls etwas sein sollte, ich bin gleich da vorn in dem Glaskasten.«
    Sie zeigte mit der Hand auf eine gläserne Ausbuchtung in der Wand ein paar Meter den Gang hinunter. Dann nahm sie ihm das Glas ab, stand auf und ging. Er spürte noch ihre warme Hand auf seinem Unterarm, als sie längst wieder im Schwesternzimmer war. Nach und nach verschwand der Abdruck von Menschlichkeit auf seiner Haut, und gleichsam machte sich ein anderes Gefühl machtvoll in ihm breit.
    Einsamkeit! Verlorensein! Er fühlte sich aus der Welt gerissen. Wenn der Unfall mit Saskia ihn in eine andere Spur gerückt hatte, so hatte diese Sache ihn von der Erde geschubst. Der Boden unter seinen Füßen war verschwunden, sein bisheriges Leben ein Gebilde aus Sand und Nebel, das Leben vor ihm ein Konstrukt aus Wahnsinn, Angst
und Schmerz. Führte ein Weg dort hindurch? Wenn ja, würde er beschwerlich, für ihn vielleicht zu schwer sein. Er wünschte sich Saskia an seine Seite, jetzt, in dieser Sekunde, doch sie war noch nicht hier. Wer hatte sie angerufen? Er selbst? Die Schwester? Hatte sie überhaupt jemand angerufen?
    Sebastian dachte angestrengt nach, doch es fiel ihm nichts Konkretes dazu ein. Zunehmend wurde es ihm aber auch egal. Er fühlte sich besser, leichter. So wie die Schwester es vorausgesagt hatte. Eigentlich war doch alles okay! Also konnte er auch getrost ein wenig die Beine hochlegen, es sich auf der weichen Couch bequem machen. Es war doch nett hier!
    Die leisen Geräusche der vorbeieilenden Menschen, das Quietschen von Plastiksohlen auf Linoleum, stetiges, kaum wahrnehmbares Summen von Neonröhren … leise Musik … weit entferntes Knacken … Brechen von Holz …
    … von überall gleichzeitig scheinen die Geräusche zu kommen, der Wald ist plötzlich voll davon. Es knackt, als wäre Frost tief in die Bäume eingedrungen, massiver Frost, der die Feuchtigkeit des Holzes binnen Sekunden gefrieren und sie von innen heraus explodieren lässt. Ein grässliches, reißendes Geräusch, organisch und leblos zugleich. Der Riese! Es muss der Riese sein, der durch den Wald auf ihr Haus zukommt, was sonst! Tiefe Angst ergreift Besitz von ihm. Er schlingt die Arme um den Körper und zieht die Beine an, macht sich so klein, wie er es damals im Bauch seiner Mutter gewesen ist …
    … Mutter …
    … sie ruft nach ihm, will ihn vor dem Riesen retten …
    »Sebastian, ich bin

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